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Das ehrsame Narrengericht zu Grosselfingen

Alle vier Jahre verfällt das ganze Dorf in den Fasnetswahn. Jeder, der kann, kommt oder macht sogar mit.

Das Narrengericht in Grosselfingen. ARCHIVBILD: MEYER
Das Narrengericht in Grosselfingen. ARCHIVBILD: MEYER
Das Narrengericht in Grosselfingen. ARCHIVBILD: MEYER

GROSSELFINGEN. Der Überlieferung nach geht das Narrengericht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Als die Pest ausgebrochen war, fand man die Bevölkerung in großer Niedergeschlagenheit vor. So entschlossen sich die Herren von Bubenhofen, dem Volk neue Hoffnung zu machen. Sie erfanden das Narrengericht. Noch heute verkörpern die Butzen mit ihren furchterregenden Larven die Pest und den Tod.

Anfang des neunzehnten Jahrhunderts wird das Spiel fast 30 Jahre lang ausgesetzt. Es ist die Zeit der Hungersnöte und der deutschen Revolution. Das Narrengericht droht in Vergessenheit zu geraten. Erst im Jahre 1858 macht man weiter mit dieser alten Tradition.

Natürlich gibt es verschiedene Rollen in diesem Spiel, was man aber gewiss sagen kann: Die Tradition wurde immer eingehalten bis heute dürfen nur Männer mitmachen.

Die Hanswurste gehören zu den sogenannten Gassenrollen, die sich nicht der strengen Ordnung des Narrenzuges unterordnen und ein buntes und wildes Narrenhäs mit großem weißen Kragen und langen Fransen um die Hüfte tragen. Weiter tragen sie als Kopfbedeckung einen bunten Spitzhut ohne Rand, an dessen Spitze eine Kordel befestigt ist. Als Zepter schwingen sie ein Kochlöffel. Sie setzen sich im ganzen Narrenspiel immer wieder gut in Szene, vor Übertreibungen wird jedoch gewarnt. Jedoch dürfen und sollen die Hanswurste ruhig aus sich heraus gehen. Ein Teil von ihnen bleibt während des Spiels beim Narrenzug, der andere Teil ist bei den Gerichtssitzungen im Gerichtssaal. Sie unterhalten die beim Gerichtsgebäude stehenden Zuschauer zusammen mit den anderen Gassenrollen pausenlos mit allerlei lustigen Späßen. Wenn zum Tanz aufgespielt wird, was normalerweise öfters geschieht, wird in verrückter Weise mitgetanzt.

Die Geißelläufer sind weiß gekleidet, ihr Hemd ist auf Brust und Rücken mit bunten Bändern reich verziert. Ein mit Blumen besetztes Schappel ist ihr Kopfschmuck. Sie sind dem Zug stets voraus und kündigen die Ankunft dessen durch rhythmisches Knallen mit ihren Peitschen an. Dadurch wird auch für den herannahenden Zug Platz geschaffen. Sie sind dem Zugführer oder Platzmajor unterstellt.

Auch die Edelknaben und Stabläufer haben weiße Häse und tragen ein mit Blumen besetztes Schappel mit einem Spiegel an der Stirnseite. Als eine der bedeutungsvollsten Hauptfiguren des historischen Narrenspiels versinnbildlichen die Stabläufer (zwischen 14 und 17 Jahren) und die Edelknaben (zwischen 10 und 13 Jahren) zusammen mit den Geißelläufern den Frühling und den Glanz des venezianischen Reiches. Die Stabläufer tragen zusätzlich den rot- weiß gestreiften Stab des Lebens und des Friedens, an dessen oberen Ende eine Kugel aus Blumen befestigt ist. Beim Spiel zwischen Frühling und Winter, beim Tanz der Stabläufer mit den schwarzen Butzen auf dem Marktplatz, wird die große Symbolkraft dieser Figuren für das ganze Narrenspiel noch einmal in besonderem Maße hervorgehoben. Die Stabläufer drehen sich im Marschtempo elegant im Kreise. Auch sind sie wie die Edelknaben, ihrem Korporal unterstellt und bilden beim Einführen des Gerichts vor dem Gerichtsgebäude ein Spalier. Sie haben aber noch ein ganz besonderes Privileg. Sie dürfen nämlich auch in höflicher und anständiger Form – vorausgesetzt die Damen oder Mädchen wünschen es – diese elegant am Arm führen oder zum Tanze auffordern.

Die Korporale/Zugführer sind ebenfalls überwiegend weiß gekleidet, als Kopfbedeckung dient ihnen ein Zweispitz, der längs getragen wird. Sie benehmen sich gegenüber den ihnen anvertrauten Personen in jeder Lage nur vorbildlich und sind dem Platzmajor unterstellt. Die Korporale/Zugführer sind bei der Einteilung und Führung des Zuges behilflich, damit nie eine Unordnung entsteht.

Die Zimmerleute : Als Vertreter alter Handwerkszünfte treten sie in Aktion, wenn es die Umstände ihres Berufes entsprechend erfordern, zum Beispiel, um Bäume zu fällen und Barrikaden zu beseitigen. Sie tragen wie die anderen Handwerkszünfte Berufskleidung und die Wahrzeichen ihres Handwerks.

Die Bergknappen zünden treppauf und treppab den Herrschaften eine Laterne an, hauptsächlich bei Tageslicht, damit die Damen ihre zarten Füße an keinen spitzen Stein stoßen. Sie tragen ebenfalls Berufskleidung.

Das Narrenrößle oder »Venedische Pferd« mit seinem Reiter gehört zu den Rollen, die sich außerhalb der Ordnung des Narrenzuges bewegen, mit schwarzem Umhang und Butzenkappe vermummt, reitet der Reiter ein aus Holz geschnitztes schwarzes Steckenpferd. Mit den sogenannten Gasserollen (Hanswurst, Wegräumer und Geiger) treibt das Narrenrössle mit seinem Reiter die übermütigsten Späße. Nicht immer gelingt es denen, seinen schnellen Angriffen zu entkommen. So steht es immer im Mittelpunkt der Volksbelustigung.

Die Butzen gehören zu den auffälligsten Gestalten des Zuges. Sie und das Narrenrössle sind die einzigen vermummten Mitspieler. Sich zu verbutzen bedeutete früher, sich zu vermummen. Die Vermummung wie hier mit Stoff, gehört zu der ältesten Art dies zu tun. Mit ihren schwarzen Umhängen und der hohen Gesichtslarve, der sogenannten Butzenkappe, welche sie groß und mächtig erscheinen lässt, können sie furchterregend wirken. Die Butzenkappe ist mit bunten Blumen und Bändern reich besetzt. Die vielen über den Rücken wallenden bunten Bändern verleihen ihnen ein farbenprächtiges Aussehen. Die Butzen verkörpern im Spiel den Winter, die Pest und den Tod und bilden somit den Gegenpol zu den Edelknaben, Stabläufer und Geißelläufern. Im Spiel gehören sie zu den Ordnungsfiguren, beim Aufmarsch des Narrenzuges durch das Dorf haben sie streng darauf zu achten, dass der Zug nicht mit anderen Personen vermischt oder dass mitgelaufen wird, denn der Zug muss frei sein von jedem Publikum. Auch darf niemand neben dem Zug laufen. Die Gäste können sich links und rechts an der Straße aufstellen.

Beim »Auspritschen« der verurteilten Delinquenten müssen die Butzen darauf achten, dass sie bei jedem Hieb die Schmerzensseufzer mitbrummeln. Wenn fremde Personen »gepritscht« werden, brauchen die Klagetöne nicht angestimmt zu werden, sondern nur bei den Mitspielern. Als Zeichen der Versöhnung, beim Spiel zwischen Frühling und Winter, tanzen die Butzen den historischen »Rutsch hin rutsch her« mit den Stabläufern, einer von mehreren Grosselfinger Narrentänzen. Die große Symbolkraft der Butzen, als eine der Hauptfiguren im ganzen Narrenspiel, zusammen mit den Edelknaben und Stabläufern wird hierdurch nochmals besonders unterstrichen. Auch sind sie von alters her berechtigt, einem jeden das Gesicht anzuschwärzen, mit Ruß und Kohlen der »sein Weib hat geschlagen«.

Die Wegräumer oder Schützen gehören zu den Gassenrollen. In ihrem bunt-befransten zottigem Häs und dem federgeschmückten Hut wirken sie schon in ihrem Äußeren recht belustigend. Mit großem Eifer erfüllen sie ihre Aufgabe, den Weg für den Narrenzug freizumachen. Aber natürlich närrisch handelnd, verrammeln sie dauernd den Weg mit allem erreichbaren Gerümpel. Sie lassen auch sonst keine Gelegenheit aus, das Publikum zu unterhalten, damit es den Gästen im venezianischen Reich nicht langweilig wird. Als Werkzeug dient eine speziell geformte hölzerne Hacke, genannt »Haible« mit rot-weiß gestreiftem Stiel.

Trommler und Pfeifer (Spielmannszug) tragen rote Jacken mit weißen Kordeln verziert und weiße Hosen. Ihre Kopfbedeckung ist ein roter Tschako. Unter Stabführung spielen sie überlieferte Melodien aus früheren Jahrhunderten. Besonders hervorzuheben ist der »Rutschhin«-Tanz, der auch heute noch in Venedig aufgeführt wird. Diese Tatsache untermauert die venezianische Herkunft des Narrengerichts. Der »Rutschhin« wird von Butzen und Stabläufern vorgeführt, auch von Einheimischen wird er getanzt. Es werden jedoch auch noch weitere historische Melodien zum Narrentanz gespielt.

Die Bäder in weißem Hemd, schwarzer Hose und blumengeschmücktem Schappel als Kopfbedeckung, zählen zu einer der ältesten Figuren im Spiel. Eine rote Schärpe hebt ihre Würde hervor. Narrenpritsche, Schere, Rasiermesser und Zahnzange sind ihre Ausrüstung. Alle diese Werkzeuge sind von etwas überdimensionaler Größe und aus Holz gefertigt. Mit dem von den Bädern vorgetragenen »Badverruf« werden Ordnungsregeln des venezianischen Reiches verkünden. Es ist daher verständlich, wenn ihnen die »Gassenrollen« mit größtem Respekt gegenübertreten.

Der Narrenvogt hat den höchsten Rang im venezianischen Reich. Er trägt eine schwarze Robe mit breitem weißen Schulterkragen, auf dem Haupt einen silberfarbenen Spitzhut mit Rand und ein Zepter mit dem Sommervogel. In Ausübung der höchsten politischen und richterlichen Gewalt, führt er bei den Gerichtsverhandlungen den Vorsitz. Er verwaltet gleichermaßen das ehrsame Narrengericht zu Grosselfingen selbst, so wie die Marienbruderschaft des ehrsamen Narrengerichts. Auf ihm ruht die große Verantwortung, dass das Narrengericht streng gemäß den alten Statuten und Satzungen abgehalten und in guter Ordnung durchgeführt wird. Bei Versammlungen jeglicher Art führt er den Vorsitz und ist gemäß den Statuten mit einer großen »Machtfülle« ausgestattet. Zum Vogt gewählt zu werden, ist die höchst Ehre, die einem Mitglied des ehrsamen Narrengericht zu Grosselfingen überhaupt zuteilwerden kann.

Man hat durch diese Ausführungen, glaube ich, einen kleinen Eindruck davon bekommen, wie wichtig dieses Spiel für die Ortschaft und die Menschen ist. In vier Jahren gibt es wieder das Grosselfinger Narrengericht. (ZmS)

Anna Legnaro, Evangelisches Firstwald Gymnasium Mössingen, Klasse 8