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»Begonnen habe ich mit Hasch«

Mit 14 nimmt sie zum ersten Mal Drogen. Harmloses Kiffen, denkt sie. Inzwischen weiß sie, dass es für sie die Einstiegsdroge war. Daiana (Name geändert) gerät in einen verhängnisvollen Strudel, nimmt harte Drogen, wird kriminell. Sie lernt die Abgründe des Drogenkonsums kennen. Aus eigener Kraft schafft die junge Frau den Ausstieg aus dem Teufelskreis. Jetzt antwortet sie auf Fragen, die Pfullinger Realschüler ausgearbeitet haben

PFULLINGEN. Sie möchte sich einfach mal gut fühlen, cool sein. Auswirkungen, Folgen? Das alles ist für die 14-Jährige in weiter Ferne. Nach einem langen Trip in die Drogen-Hölle schafft sie den Ausstieg. Heute ist Daiana 35 Jahre alt, steht mitten im Leben und genießt es. Schüler der Klasse 8b der Wilhelm-Hauff-Realschule Pfullingen haben im Rahmen ihrer Projektarbeit »Drogenabhängigkeit« einen Fragenkatalog erstellt, den sie an Daiana weiterleiteten.

ZmS: Welche Drogen hast du konsumiert?

Daiana: Begonnen habe ich mit Hasch. Ich war mit meiner Freundin in Berlin. Wir hatten Kontakt zu Straßenpunks. Die fragten uns dann irgendwann, ob wir mitkiffen wollen. Naja, warum nicht, fragte ich mich damals. Und später habe ich alles genommen.

Wie alt warst du, als du das erste Mal Drogen konsumiert hast?

Daiana: Mit 14 Jahren hab ich das erste Mal gekifft. Habe aber auch Alkohol getrunken.

Wie und woher hast du die Drogen bekommen?

Daiana: Ich habe nach meinem Auszug von Zuhause einen Mann kennengelernt, der elf Jahre älter war als ich. Als ich mit ihm zusammen war, habe ich von ihm Drogen bekommen.

Hast du gemerkt, dass der Mann abhängig ist?

Daiana: Ich lernte ihn beim Spazieren mit meiner Freundin kennen. Irgendwie hat man dann angefangen miteinander zu sprechen, und als er dann erfuhr, dass ich derzeit keine Bleibe hatte, bot er mir an, bei ihm zu wohnen. Das Angebot nahm ich natürlich an. Ich merkte schon, dass er dicht war, aber was er zu sich nahm, wusste ich damals nicht.

Hat er dir die ersten harten Drogen angeboten?

Daiana: Ja, mit 18 fing ich dann durch diesen Mann an, härtere Drogen zu nehmen. Ich merkte ungefähr ein halbes Jahr später, dass er Kokain und Heroin nahm. Es lagen immer leere Briefchen auf dem Wohnzimmer- und Küchentisch herum, in denen Stoff gewesen war. Anfangs bot er mir Stoff in Zigaretten an, bis ich es dann anders zu mir nahm. Und das ging ungefähr zwei Jahre so.

Wie war es, als du das erste Mal harte Drogen zu dir genommen hast?

Daiana: Ich musste richtig spucken. Der Geschmack von Heroin war eklig und sehr bitter. Aber das Gefühl, das sich danach einstellte, hat mir damals gefallen. Es war eine warme Empfindung, ich fühlte mich sehr beruhigt und ich hatte das Gefühl, keine Sorgen mehr zu haben. Ich musste beziehungsweise wollte mich um nichts kümmern. Alles war mir gleichgültig. Ich glaube sogar, dass wenn in dieser Zeit meiner Familie etwas zugestoßen wäre, hätte es mich nicht weiter betroffen gemacht.

Haben deine Eltern gewusst, dass du Drogen nimmst?

Daiana: Ich schätze ja, aber ich denke, sie haben es verdrängt. Ich zog damals sowieso aus, weil ich nur Stress hatte, vor allem mit meiner Mutter. Ich hätte es nicht zugelassen, dass sich jemand in mein Leben einmischt.

Hattest du das Gefühl, dass deine Eltern sich um dich bemühen?

Daiana: Meine Mutter hat immer den Kontakt gesucht, nur hab ich abgeblockt. Sie hat es in den Jahren nie geschafft, Zugang zu mir zu finden. Mein Vater hat mich nie besucht. Er konnte es nicht ertragen. Und meine jüngere Schwester war mit ihrer Pubertät beschäftigt.

Woher hattest du das Geld für Drogen?

Daiana: Vor der Verhaftung meines Ex-Freundes, haben wir gemeinsam Sachen geklaut, zum Beispiel leere Sprudel- oder Bierkisten, für die wir dann das Pfand geholt haben, oder wir haben Fahrräder geklaut und die verkauft. Später haben wir dann fünf Gramm Heroin gekauft, die wir zum Teil weiter verkauft haben, um am nächsten Tag einkaufen zu können. So haben wir unseren Bedarf gedeckt.

Sichert man seine Drogenabhängigkeit also mit Diebstahl und Dealerei?

Daiana: Nein, nicht nur, zuerst fängt man an seine Wohnung zu veräußern. Wenn man die Wohnung eines Junkies anschaut, dann hat er oder sie nur eine Matratze auf dem Boden liegen und vielleicht noch \qnen Tisch oder Stuhl. Die Wohnungen sind leer, weil der Verkauf von Eigentum natürlich auch Geld einbringt. So verkaufst du mit der Zeit alles was du hast: Anlage, Fernseher, Möbel, zum Teil Kleidung, CDs und Bücher.

Woher wusstest du, an welchen Orten man die Drogen kaufen kann?

Daiana: Vor der Verhaftung hat das mein Partner gemacht. Er wusste, wo es Drogen zu kaufen gibt. Und dadurch habe ich dann die bekannten Umschlagplätze kennengelernt. Leute, die Drogen verchecken. Es gibt immer irgendwelche Milieugestalten, die an bestimmten Plätzen, Bahnhöfen oder an Brunnen in den Innenstädten stehen. In jeder Diskothek, auf Partys. Immer gibt es welche, die es dir anmerken und denen du es anmerkst, dass sie Drogen haben.

Hattest du in den zwei Jahren einen bestimmten Freundeskreis?

Daiana: Freunde gibt es da eigentlich nicht mehr. Du bist alleine, und auf dich gestellt. Auch wenn immer jemand um dich herum ist. »Freunde« sind die Leute, die auch konsumieren. Wenn die aber am nächsten Tag nicht da sind, dann interessiert das keinen, ebenso wenig wie alles andere. Manchmal starben sogar Freunde, was egal war.

Erinnerst du dich an deine Empfindungen, an deine Gefühle in dieser Zeit?

Daiana: Ich erinnere mich an alles. Es ist nicht so wie bei Alkohol. Wenn man zu viel trinkt, hat man einen Filmriss. Man hat vieles am nächsten Tag vergessen. Wenn du auf Heroin, LSD oder anderen harten Sachen bist, nimmst du alles um dich herum wahr. Auf Heroin ist dir alles scheißegal.

Wo hast du in deiner Jugend so gewohnt?

Daiana: In Rohbauten, manchmal in Wohnungen, im Wohnwagen, am Baggersee und einmal in einem Zimmer im Asylantenhaus.

Wie sah dein Alltag aus?

Daiana: Anfangs ist man ständig unterwegs, auf Partys, Leute treffen. Irgendwann wurde das weniger. Der Tagesablauf sah dann so aus: aufstehen, wenn ich merkte, ich werd\q zittrig, dann hab ich was genommen. So ging das alle paar Stunden. Ich saß den ganzen Tag vor dem Fernseher, hab kaum noch gegessen. Als ich mit diesem Mann zusammen war, gab es teilweise was zu essen, da er von zuhause öfter Carepakete mit bekam. Später aß man das, was da war, oder auch mal nichts.

Was war das schlimmste Ereignis für dich?

Daiana: Eigentlich erinnere ich mich an kein einschneidendes Ereignis. Alles war schlimm. Hausdurchsuchungen waren schlimm, die Angst, dass man keine Drogen hat, war schlimm. Aber sonst hatte ich auch mal Angstzustände, wenn ich auf einem Trip war. Dass ich zum Beispiel ein Gesicht hundertfach vor mir gesehen hab. Comics, in denen Messer mit Blut verschmiert auf mich zukamen. Dann hab ich ferngeschaut und mich in einem Western mitspielen sehen. Einmal hab ich Spaghetti mit Tomatensoße in eine Schüssel geleert und auf dem Boden gegessen, weil ich wissen wollte, wie sich ein Hund fühlt. Erst am nächsten Tag sah ich dann im Spiegel wie ich aussah. Es gab auch viele Momente, in denen ich einfach da saß und Dinge beobachtet habe. Zum Beispiel saß ich mal am Fenster, fünf Stunden lang und hab Wolken beobachtet, die vorbei flitzten, oder wie die Zimmerdecke plötzlich immer näher kommt und dich beinahe platt drückt.

Es war dir also bewusst, aber du hast nichts dagegen unternommen?

Daiana: Ja, ich wusste, dass das, was ich da gerade mache, nicht o.k. ist, aber es war mir egal, denn die Sucht war größer. Ich wusste alles, aber empfand nichts. Keine Gefühle.

Was war der Auslöser für den Beginn deines Drogenkonsums?

Daiana: Meine Eltern hatten immer wenig Geld. In der Klasse hatte ich immer die schlechtesten Klamotten an und war relativ schüchtern. Dann schloss ich mich irgendwann den Punks an, denn da konnt ich so sein wie ich bin, mich anziehen wie ich will.

Hast du mit denen angefangen, Drogen zu nehmen?

Daiana: Ja, wir haben viel Alkohol getrunken. Aber ganz harte Drogen waren tabu, ein unausgesprochenes Gesetz. Aber gekifft haben wir schon, das war so die Einstiegsdroge, für mich jedenfalls. Das heißt, ich habe die Hemmungen und die Angst vor anderen Drogen verloren.

Wie bist du davon weggekommen?

Daiana: Im Grunde gab es kein ausschlaggebendes Erlebnis. Ich hatte, nachdem mein Freund im Gefängnis war, keine Lust mehr auf das Umfeld und den Dreck. Alles hat mich angeekelt. Alle waren dreckig. Alles war voller Dreck. Es gab Junkies, die haben sich einen Schuss gesetzt und das Blut, das noch in der Spritze war, einfach auf den Boden gespritzt.

Wie war dein Entzug?

Daiana: Ich habe kalt entzogen. Es war schrecklich.

Was bedeutet das?

Daiana: Ich habe kein Methadon oder Ähnliches genommen. Von heut\q auf morgen habe ich aufgehört, Drogen zu nehmen.

Hattest du Unterstützung von jemandem?

Daiana: Nein, ich war alleine. Ich habe, als ich beschlossen hatte, so nicht mehr weiterzumachen, den Kontakt zu allen im Userumfeld abgebrochen.

Wie erging es dir während deinem Entzug?

Daiana: Ich hatte schreckliche Schmerzen. Ich musste ständig spucken, hatte schreckliche Magen- und Darmkrämpfe, so dass ich auf dem Boden herumkroch. Ich musste ständig schwitzen und mir war permanent kalt. Ich hatte zum Beispiel vier Pullis an, die sofort pitschnass waren. Essen konnte ich auch nichts. Nach ungefähr zwei Wochen habe ich dann Kleinigkeiten gegessen, wie Zwieback. Ich wog nur noch 47 Kilo. Und ich konnte nicht schlafen. Der Schlafentzug zehrt schrecklich an deinen Nerven, weil man sich überhaupt nicht erholen kann.

Wie, du konntest nicht schlafen? Ein bisschen musst du doch geschlafen haben?

Daiana: Nein, du nickst vielleicht kurz ein, aber sofort reißt du weit deine Augen auf und kannst einfach nicht schlafen. Es liegt daran, dass Heroin einen permanent auf einem niedrigen Level hält, und auf einmal bekommst du nichts mehr, was dich runter bringt. Man hat ja ständig Opiate genommen, das heißt sehr starke Beruhigungsmittel, das auf einmal entzogen wird. So ist der Entzug.

Wie lange hat es gedauert, bis du von den Drogen weggekommen bist?

Daiana: Fünf Tage ging es mir richtig schlecht. Die waren besonders hart. Wochenlang ging es dann weiter. Nach ungefähr zwei Monaten fing ich an, wieder alles um mich herum wahrzunehmen.

Wussten deine Eltern von deinem Entzug?

Daiana: Nein, ich sagte ja schon, dass ich niemand um mich herum hatte. Erst als es mir etwas besser ging, nahm ich Kontakt auf. Meine Eltern wollten dann auch, dass ich wieder nach Hause komme. Meine Mutter peppte mich sozusagen wieder auf.

Warst du in einer Drogenberatungsstelle?

Daiana: War erst mal bei einem Arzt, der meinte, dass er mir nicht weiterhelfen könne. So ging ich zu einer Beratungsstelle und teilte denen mit, dass ich einen Entzug machen möchte. Die sagten mir, dass ich auf eine Warteliste müsse, das hieße ungefähr drei Monate warten. Das war mir zu lang. Denn wenn man den Entzug will, sich dafür entschieden hat, dann muss sofort was passieren. Wer weiß, was in drei Monaten alles passieren kann.

Wie ging es dir, nachdem du keine Drogen mehr genommen hast?

Daiana: Ich fühlte nur Leere. Man muss sich das so vorstellen: Das Gehirn besitzt Rezeptoren, die wie eine Batterie durch die Einnahme von Heroin ständig künstlich aufgeladen werden. Wenn man dann diese Batterien, wie in meinem Fall, nicht nachfüllt, dann ist alles leer. Der Körper muss erst wieder lernen, die Batterie selbstständig zu laden, und das braucht Zeit. Darum fühlte ich mich auf einmal leer und langsam depressiv.

Was war nach deinem Entzug?

Daiana: Danach haben meine Eltern mich sehr unterstützt. Erst musste ich mich um Dinge kümmern, die ich all die Jahre liegen gelassen habe. So Dinge wie Nachzahlungen klären und so. Dann kam noch die Gerichtverhandlung wegen Dealerei auf mich zu. Nachdem damals meine Wohnung durchsucht worden war, lag alles auf der Hand.

Worauf musstest du dich gefasst machen?

Daiana: Es war glasklar, dass ich Mist gebaut hatte und nun dafür büßen musste. Die Einsicht hatte ich. So hab ich meine Arbeitsstunden in einer Drogenberatungsstelle abgebüßt, indem ich für Drogenabhängigen gesundes Essen kochte.

Was hat sich in deinem Leben geändert?

Daiana: Sauberkeit ist mir unendlich wichtig. Ich möchte immer mit mir im Reinen sein. Ich möchte alles geregelt wissen. Und das Wichtigste: Ich nehm überhaupt keine Drogen mehr! Nicht mal kiffen. Denn durchs Kiffen hatte ich schon damals nichts auf die Reihe gekriegt. Vor allem nicht in der Schule. Man sagt nicht umsonst: »Hasch macht lasch«.

Was würdest du in deinem Leben anders machen?

Daiana: Ich würde bewusster leben. Ich würde die Schule anders angehen. Wenn ich so zurückdenke, war die Schulzeit die unstressigste Zeit, mit der meisten Freizeit.

Was hast du in den letzten Jahren in deinem Leben erreicht?

Daiana: Ich habe in den letzten Jahren meinen FH-Abschluss nachgemacht. Ich habe es geschafft, mich zu erholen. Ich habe aus dieser schlimmen Zeit keine Schäden davon getragen. Ich verdiene seit zehn Jahren mein eigenes Geld. Ich habe, ohne die Unterstützung anderer, mein Leben in den Griff bekommen.

Möchtest du abschließend was sagen?

Daiana: Ja, ich warne euch, selbst mit Alkohol leichtfertig umzugehen. Alkohol hat eine ähnliche Wirkung wie Heroin, das heißt er wirkt auf das Gehirn gleich. Viele Ex-User werden nach ihrem Entzug darum alkoholabhängig. Die Sucht ist stark. Von hundert Leuten schafft es gerade mal einer, dauerhaft davon loszukommen - gerade bei Heroin. Kiffen darf nicht lapidar abgetan werden, und es gibt noch keine Erkenntnisse über die Folgeschäden von Ecstasy. Mir hat es die schulische Karriere völlig versaut. Wichtig ist auch, dass man an Barrieren arbeiten muss. Es gibt immer Stress. Stress in der Schule, Stress mit Eltern, mit Freunden, immer. Man muss diese Barrieren überwinden, ohne völlig down zu sein und gleich zu Drogen zu greifen. Hindernisse zu überwinden ist eine Herausforderung! Vergesst außerdem nicht, dass gute Freunde wichtig sind. Unterscheidet immer zwischen Freunden, die euch gut tun und denen die euch nicht gut tun. Denen seid ihr nicht wichtig, sondern austauschbar. Macht euch bewusst, was Familie ist, was sie für euch bedeutet und was ihr für sie bedeutet. (ZmS)