Der Rundumschlag, den der Leserbriefschreiber gegen die »ganze politische Klasse« in Deutschland führt, hat keine sachliche Grundlage. Zerrbilder und Verschwörungstheorien ersetzen eine Wahrnehmung der Realität.
Besonders bösartig ist der Angriff auf unseren Bundespräsidenten Joachim Gauck, der abschätzig dem »DDR-Pfaffentum« zugeordnet wird. Gaucks mutiger Einsatz als Pfarrer für die Freiheit und die Menschenrechte, die friedliche Revolution in der DDR und die Wiedervereinigung wird ausgeblendet, ebenso seine verdienstvolle Arbeit zur Aufklärung des Stasi-Unrechts. Die Behörde trug deshalb den Namen »Gauck« und jeder wusste, was damit gemeint ist.
Dem Bundespräsidenten zu unterstellen, dass er »vom sicheren Büro aus wieder deutsche Soldaten ins Feuer schicken will«, ist diffamierend.
Gauck braucht keine Belehrung über das Grundgesetz. Ihm geht es um mehr defensive Verantwortung (gemäß Grundgesetz!) angesichts zunehmender islamistischer (Terror-)Aggression und russischer militärischer Drohungen und Aktivitäten (Annexion der Krim). Die baltischen Länder sind froh, Schutz im NATO-Bündnis gefunden zu haben. »Kriegskurs« fährt jedenfalls nicht der Westen. Die antiamerikanische Einstellung des Leserbriefschreibers ist von seiner Wortwahl abzulesen.
Die Polemik gegen die Große Koalition – Außenminister Steinmeier, Verteidigungsministerin von der Leyen, »SPD-Arnold«, »linksliberale Publizistik«, »grüne Kriegstreiber«, »Journalisten, die sich wie NATO-Pressesprecher verhalten«, »Vertreter der Rüstungsindustrie greifen zu den Sektflaschen« – ist ein unqualifizierter Rundumschlag, der jegliche differenzierte Betrachtung vermissen lässt. Besonders abstoßend ist die Verbreitung von Propaganda-Lügen Putins zur Ukraine: Rechte Putschisten und Faschisten gibt es nur in den Desinformationszentralen Moskaus. Die Majdan-Bewegung ist eine Demokratiebewegung, die unter vielen Opfern den russophilen Kleptokraten Janukowitsch gestürzt hat. Das ukrainische Volk hat in demokratischen Wahlen Poroschenko mit überzeugender Mehrheit zum Präsidenten berufen.
Ernst-Ullrich Schmidt, Reutlingen
