Stellen Sie sich vor, Sie hätten für Ihre alltäglichen Ausgaben nur noch eine Guthaben-Bezahlkarte zur Verfügung, bei der Sie nicht wissen, ob Sie im Bus, am Fahrkartenautomaten oder im Lebensmittladen akzeptiert wird und die Ihnen auch nicht den aktuellen Stand Ihres Guthabens anzeigt. Vielleicht kämen Sie auch auf die Idee, für Ihre Nachbarn und Freunde im Supermarkt einkaufen zu gehen und sich von diesen den Gegenwert dafür in bar auszahlen zu lassen. Dieser Umweg wäre umständlich, aber legal. Ärgerlich und diskriminierend wäre es allerdings, dass Sie mit Ihrer Bezahlkarte keine Überweisungen und Onlinekäufe tätigen, keinen Handyvertrag abschließen und auch mangels Lesegerät nicht günstig im Second-handladen, auf einem Flohmarkt oder bei der Reutlinger Tafel einkaufen könnten.
Wer die Bezahlkarte für Geflüchtete einführen möchte, unterschätzt die Intelligenz seiner Mitmenschen oder beteiligt sich bewusst an einer realitätsfernen Debatte über den Umgang mit Geld. Solche Ideen sind populistische Scheinlösungen bei der Frage des Umgangs mit Flucht und Asyl. Statt über solche ungelegten Eier zu schreiben, sollte der GEA mehr über den Sachstand und die Praktikabilität informieren.
Bund und Länder wollen mit der Einführung der Bezahlkarte den vermeintlichen Missbrauch von Sozialleistungen verhindern. Die Leistungen für alleinstehende Asylbewerber im laufenden Asylverfahren betragen monatlich 460 Euro für den Lebensunterhalt, wenn sie, wie üblich, in einer Gemeinschaftsunterkunft leben. Jeder kann sich selbst ausrechnen, wie viel Geld für Luxus oder Auslandsüberweisungen von diesem Betrag noch übrig bleibt. Wer als Asylberechtigter anerkannt ist, hat im Fall der Arbeitslosigkeit Anspruch auf Bürgergeld, das auf ein normales Bankkonto überwiesen wird. Viele Geflüchtete sind allerdings berufstätig, zahlen Steuern und unterstützen mit ihrem Arbeitseinkommen oft Angehörige in ihren Herkunftsländern, wogegen niemand etwas einwenden kann. Dazu müssen sie meist überteuerte Auslandsüberweisungen tätigen. Leider werden in der aktuellen Diskussion alle geflüchteten Menschen vermischt, egal ob sie im laufenden Verfahren, anerkannt, berufstätig oder geduldet sind. Niemandem sieht man an, zu welcher Gruppe er gehört.
Warum ist Deutschland für viele geflüchtete Menschen attraktiv? Deutschland bietet mehr Sicherheit als manche anderen europäischen Länder, in denen Flüchtlinge oft auf der Straße leben müssen oder zum Betteln gezwungen sind. Wahrscheinlich möchte niemand unter den Einheimischen, dass hier ähnliche Zustände herrschen. Außerdem zieht es oft Menschen nach Deutschland, wenn bereits Verwandte hier leben. Kaum jemand kommt ausschließlich wegen des Geldes. Daher wird eine Bezahlkarte auch niemanden von der Flucht nach Deutschland abhalten.
Fakt ist, dass die Behörden bis jetzt nicht wissen, wo die Bezahlkarte eingesetzt werden kann und wer dieses Zahlungssystem betreiben wird. Dafür werden noch Dienstleister, also private Unternehmen gesucht, die den Zahlungsverkehr über die Karte organisieren sollen. Die hierfür anfallenden Kosten trägt der Steuerzahler. Und ob die Einführung einer Bezahlkarte dem Bürokratieabbau dient, darf bezweifelt werden.
Statt Scheinlösungen brauchen wir einen menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten, der unserem gesellschaftlichen Klima zugutekommt, wenn wir uns an Menschlichkeit und Vernunft orientieren. Es liegt in unserem Interesse eines freundlichen Miteinanders, dass wir uns Flüchtlingen gegenüber öffnen und versuchen sie zu integrieren. Die Initiativen des AK Flucht und Asyl Reutlingen suchen hierfür ehrenamtlich engagierte Menschen, die nicht nur missmutig vermeintlichen Leistungsmissbrauch beklagen, sondern das freundliche Gesicht einer offenen Gesellschaft zeigen.
Traugott Huppenbauer, Reutlingen