Unkommentierte Zitate bleiben interpretationsoffen und entlasten Journalisten vor eigenen Stellungnahmen. Das Zitat von Netanjahu (9. Oktober) »Gemeinsam werden wir kämpfen und gemeinsam siegen« muss also inhaltlich argumentiert und konterkariert werden.
In der vergangenen Woche hat Netanjahu vor der UNO erneut Israels Anspruch (»The New Middle Ost«) auf das Land (auf biblischer Grundlage) bekräftigt: »... dass wir vor der gleichen zeitlosen Entscheidung stehen, die Moses vor tausend Jahren dem Volk Israel stellte«. Ihr biblischer Held ist Josua (biblischer Befehlshaber, der Moses folgte). Im biblischen Bericht über Josuas Eroberung von Hebron heißt es: »Er ließ keine Überlebenden übrig, wie er es mit Eglon getan hatte. Und der vernichtete sie alle, die darin waren«. Netanjahu vertritt also explizit eine fundamentalistische Ideologie, nach der Palästinenser keinerlei Recht auf eine eigene Nation haben. Netanjahu stimmt darin mit Smotrich (Finanzminister) und Ben-Gvir (Minister für nationale Sicherheit) in dem Anliegen der »totalen Vernichtung« der Feinde überein. Die billionenschweren Erdgas- und Erdölressourcen im Gaza sind nur nebenbei erwähnt.
Der Internationale Gerichtshof hat entschieden, dass Israels Besetzung der palästinensischen Gebiete illegal ist. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat mit überwältigender Mehrheit das IGH-Urteil unterstützt und Israel aufgefordert, sich innerhalb eines Jahres aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Doch: Auf dem Hintergrund massiver US-Absicherung für Israels Kriegspolitik und der das Völkerrecht beugenden fundamentalistischen Netanjahu-Politik erhebt Israel weiter Anspruch auf »100 Prozent des Landes« und ignoriert jeglichen internationalen Protest. Als Netanjahu letzte Woche das Podium der UN-Vollversammlung betrat, verließen Dutzende von Regierungen den Saal.
Israels gewalttätiger Fundamentalismus ist etwa 2.600 Jahre von den heute akzeptierten Formen der Staatskunst und des Völkerrechts entfernt. Israel ist an die UN-Carta und nicht an das Buch Josua gebunden. Das Völkerrecht fordert zwei Staaten, die Seite an Seite in Frieden leben. Die Existenz eines souveränen und unabhängigen Staates Palästina ist nicht die Entscheidung Israels, sondern das Mandat der Weltgemeinschaft und des Völkerrechts. Doch die aktuelle Realität ist eine andere: Mehr als 41.000 Palästinenser wurde getötet. Einige Schätzungen gehen von 100.000 bis 200.000 Toten aus. Gaza ist nach dem Hamas-Verbrechen (7. Oktober 2023) völkermörderisch zerstört. Das Netanjahu-Regime ist völlig aus der Kontrolle. Israel im Verbund mit den USA und Großbritannien setzen voll auf Eskalationskurs. Ein umfassender Krieg mit dem Iran rückt näher. Die Orgie der Gewalt erfasst die gesamte Region.
Die kriegerische Entfesselung bringt unsägliches Leid für die Menschen und ein Szenario, das katastrophale Folgen für die Weltwirtschaft hat. Die dann eintretende Schließung der Straße von Hormuz wird die weltweite Ölversorgung lahmlegen. Die wackligen, bankrotten westlichen Volkswirtschaften werden implodieren, wenn es im Nahen Osten zu einem totalen Krieg kommt. Die »roten Linien« sind schon lange überschritten. Es bedarf jetzt nur noch eines »Kipppunktes«. Keiner soll dann sagen, er hätte von der Rede Netanjahus nie etwas gehört. Wie in der Ukraine ist der Ritt auf der Rasierklinge sichtbar. Und an beiden Themen will sich der Mainstream-Journalismus die Finger nicht verbrennen.
Der »Krieg an sieben Fronten« (Gaza, Westjordanland, Libanon, Syrien, Iran, Jemen, Irak) erhält mit der ungeklärten Rolle Russlands und Chinas im geopolitischen »Spiel« Dynamiken, die selbst die »Großen« nicht mehr steuern können. Der Geist ist aus der Flasche. Ziehen wir uns warm an.
Dr. Günter Ludwig, Reutlingen