Dass der immense Aufwand für den Umbau der Charlottenstraße gerechtfertigt war, wage ich zu bezweifeln. Erstaunlicherweise sieht man in der »Fahrradstraße« nur wenige Fahrradfahrer. Und wenn, dann kann man beobachten, dass sie ihren »Vorrang« und die Erlaubnis, nebeneinander zu fahren, provokativ auskosten. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass einige dieser Radler stolz einen kleinen Umweg auf der Fahrt zu ihrem Arbeitsplatz im Rathaus machen. Schließlich haben die Reutlinger Verkehrsplaner in der Charlottenstraße schon andere Geniestreiche gelandet: Sei es der irrwitzigste Kreisverkehr Deutschlands gewesen oder die Errichtung völlig sinnfreier »Sitzgelegenheiten« auf Pkw-Parkflächen.
Auch in der neu gestalteten, optisch durchaus ansprechenden Gartenstraße hat man sich wieder übertroffen. Respekt an die Verkehrsbetriebe: Man kann die Gartenstraße befahren, wann man will, es sind immer ein oder zwei Busse vor einem. Und damit die Blockade des Verkehrs durch die Haltestellen auch wirklich zur Wirkung kommt, sind die Ampeln auf »Rote Welle« geschaltet.
Sieht so ein modernes, zukunftsorientiertes Verkehrskonzept aus? Jedes Kind weiß heutzutage, dass ein Kraftfahrzeug, das auf dreihundert Metern zwanzigmal anhält und wieder anfährt, deutlich mehr Schadstoffe ausstößt, als wenn es die Strecke zügig durchfährt. Aber anstatt einen flüssigen Verkehr zu realisieren, wird an anderer Stelle heiß debattiert, wo und wie man ein Messgerät am besten aufstellt, um die vorgeschriebenen Luftreinhaltungswerte herbeizutricksen.
Schuld mögen die sinkenden Temperaturen und die herbstlichen Winde sein, vielleicht ist es aber auch die Reutlinger Verkehrspolitik, die dem einen oder anderen in diesen Tagen Tränen in die Augen treibt.
Tobias Müller, St. Johann