Nachdem Herr Cvrlje in seiner Laudatio auf die Neuauflage der GroKo »frischen Wind« entdeckt hat, fällt die Begründung doch sehr dürftig aus. Die »gut erkennbare Handschrift« der SPD in dem 28-Seiten-Papier ist in den Reihen der SPD nicht ganz so konsensfähig. Die ablehnende Haltung des SPD-Landesparteitages in Sachsen-Anhalt, die Nachverhandlungsforderungen der Landesverbände NRW und Hessens Votum sind irritierend. Selbst der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner forderte nachträglich die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen.
Also eine tolle Einigkeit vor dem 21. Januar 2018. So bleibt es Dobrindt (CSU) überlassen, Schulz die Empfehlung zu geben, diesen »Zwergenaufstand in den Griff« zu bekommen. Dabei geht er im Demokratieanspruch nicht sehr viel weiter als Sigmar Gabriel. Dieser bezweifelte, ob es für die vom Parteivorstand als »vernünftig« eingestufte Entscheidung überhaupt einer Absegnung durch einen Sonderparteitag bedarf. Soll nur noch einer sagen, das ideologische Grundverständnis für eine GroKo II sei nicht vorhanden. Meine Schlüsselfrage, ob Neues aus dem Alten durch die Alten entstehen kann, ist vor dem Hintergrund der Ergebnisse eindeutig zu beantworten. Hat Frau Hummel in ihrem Leserbrief vom 12. Januar 2018 die Sünden der alten GroKo ausreichend dargelegt, so fällt mir schwer, mit der Vorlage der Ergebnisse des Sondierungspapieres einen grundlegend »frischen Wind« zu erkennen.
Das positive Marketing erklärt sich sicher erst einmal dadurch, dass es sowohl für Merkel, Seehofer und Schulz ums politische Überleben geht. Kompromisse ergeben keine größere Perspektive. Jeder in der Triade brauchte seinen Erfolgsanteil, um sich vor dem eigenen Klientel zu legitimieren.
War es bei Merkel »Deutschlands Verantwortung für die Welt und Europa«, so blieben die »höheren Beiträge zum EU-Haushalt« genauso im Nebel wie die geforderten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Militärausgaben. Und plötzlich gibt es auch für Frau Merkel eine »Obergrenze«. Und für die SPD ist auf dem Hintergrund der Verwüstungen durch die Agenda 2010 erst einmal die Pflege des sozialen Profils angesagt: Festschreibung des Rentenniveaus ohne strukturelle Veränderungen. Der kapitalgedeckte Rentenumbau wird weiterbetrieben statt einer Wiederherstellung der gesetzlichen Rente. Die »Bürgerversicherung« ist außen vor. Es bleiben Ansagen zur »Verbesserung der Pflege« und des Kindergeldes und eine selbstverständliche Parität bei der Krankenversicherung. Das Recht auf befristete Teilzeit und eine »Wohnraumoffensive« als neue Worthülse analog der Mietpreisbremse. Und der Soli soll schrittweise abgebaut werden. Angesichts der enormen Zunahme von Armut, sozialer Ungleichheit und Niedriglöhnen ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Preisgabe der Klimaziele, Erhöhung des Spitzensteuersatzes und Vermögenssteuer? Maßnahmen gegen Kinderarmut? Erhöhung des Mindestlohnes und besseren Schutz gegen unsichere prekäre Jobs? Wo sind die Pläne zur Regulierung der Finanzmärkte, dem Kampf gegen Steueroasen? Von wegen »sozialdemokratische Handschrift«. Reparaturmentalität siegt über fortschrittliche Zukunftsprojekte. Es wird an bekannten Stellschrauben gedreht, ohne sich aus der Komfortzone und ins Risiko zu bewegen.
Dr. Günter Ludwig, Reutlingen