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Aktuell Leserbriefe

»Es gibt dringenden Verbesserungsbedarf«

Der 5. Mai ist der Protesttag der Menschen mit Behinderung. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Dinge aufzuzeigen, die meiner Meinung nach dringend verbessert werden müssen.

Seit dem 1. Mai 2002 gibt es ein Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung. Dieses Gesetz soll Benachteiligung von Behinderten vermeiden.

In § 8 ist die Barrierefreiheit von Bau und Verkehr geregelt. Unter die Rubrik Bau gehören auch Wahllokale. Ich habe jetzt zehn Jahre eine Wahlbenachrichtigung bekommen, in der mir fröhlich mitgeteilt wurde, dass mein Wahllokal nicht barrierefrei ist.

Der Oberknüller der letzten Wahlbenachrichtigung war aber der Hinweis, dass Blinde und Sehbehinderte eine Hotline anrufen können, wo sie erfahren, wie sie wählen können, diese Hotline aber Geld kostet! Ja, selber schuld, wenn jemand blind oder sehbehindert ist. So viel Unverschämtheit macht mich sprachlos, liebe Stadtverwaltung Reutlingen. Die aktuelle Wahlbenachrichtigung zur Wahl am 25. Mai hat zwei Neuerungen: Das Wahllokal ist barrierefrei und die Hotline für Blinde und Sehbehinderte ist kostenfrei. Es hat jetzt zwölf Jahre gedauert, aber es bewegt sich was in der Stadtverwaltung Reutlingen.

In § 10 des oben genannten Gesetzes geht es um die Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken. Hier ist vorgeschrieben, dass Bescheide und Vordrucke so gestaltet sein müssen, dass Behinderte diese selbstständig wahrnehmen und bearbeiten können. Für Blinde und Sehbehinderte ist es unabdingbar, dass Bescheide in elektronischer Form zu Verfügung stehen.

Menschen mit einer eingeschränkten Hand füllen ebenso Formulare lieber in elektronischer Form aus. Die wenigsten Behörden in Reutlingen kommen dieser gesetzlichen Verpflichtung nach, obwohl sie schon seit zwölf Jahren rechtskräftig ist. Es kommt ebenso vor, dass eine Behörde Formulare in elektronischer Form anbietet, jedoch die Sachbearbeiter der Behörde diesbezüglich nicht informiert sind. Hier besteht dringend Handlungsbedarf.

Das nächste Thema ist barrierefreier Tourismus. Reutlingen sollte eigentlich Interesse haben, auch für körperlich eingeschränkte Menschen ein beliebtes Reiseziel zu sein. Nach einem echten Frusterlebnis mit einem Rollstuhlfahrer im Cafe Alexandre erstellte ich die Webseite »Barrierefrei-Mobil« (http: www.barrierefrei-mobil.info), in der ich barrierefreie Hotels, Gaststätten und Cafés aus ganz Deutschland kostenfrei eintrage. Trotz vieler Kraftanstrengungen meinerseits ist die Anzahl von barrierefreien Adressen aus Reutlingen einfach beschämend. Das Desinteresse an diesem Thema ist für mich nicht nachvollziehbar. Andere Städte mit der Größe von Reutlingen haben für den barrierefreien Tourismus einen eigenen Beauftragten.

Genug protestiert! Ich möchte meinen Leserbrief mit einem Positivbeispiel beenden. Die Fechtabteilung der TSG Reutlingen ist Vorbild in Sachen Inklusion. Inklusion bedeutet, dass Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenleben. Spezialschulen und Spezialkindergarten für Behinderte gehören der Vergangenheit an. Menschen mit und ohne Behinderungen sollen den gleichen Kindergarten und die gleiche Schule besuchen.

In der Fechtabteilung der TSG Reutlingen trainieren Sportler mit und ohne Behinderung gemeinsam, und das macht richtig Spaß. Die Trainer sind echte Experten in Sachen Inklusion. Inklusion kann richtig Spaß machen!

Markus Lemcke, Reutlingen //