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Aktuell Leserbrief

»Ergebnis kommt nicht überraschend«

Zu den Artikeln »Südwest-Schüler nur Mittelmaß« und »Zufrieden mit Mittelmaß?« vom 19. Oktober (per E-Mail)

Baden-Württembergs Neuntklässler zeigen laut einer neuen Studie im Ländervergleich durchschnittliche Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften. Für mich kommt dieses Ergebnis nicht überraschend, klaffen doch Ansprüche und Wirklichkeit in unserem Bildungssystem seit Jahren weit auseinander. Leider liest man in der Presse nur wenig über die meiner Ansicht nach vielfältigen Ursachen, die ich kurz anreißen möchte.

Mit der Einführung des achtjährigen Gymnasiums – veranlasst durch die damalige CDU/FDP-Regierung – im Jahr 2004 verschob sich der Beginn der Fächer Physik und Chemie um ein Jahr nach vorne. So müssen recht komplexe Inhalte nun schon ein Jahr früher behandelt werden, was aber oft nicht dem kognitiven Entwicklungsstand der Schüler entspricht. Durch die Einführung des Faches Naturwissenschaft und Technik mussten die »Basiswissenschaften« Stunden abgeben. Die Chemie verlor im naturwissenschaftlichen Profil zwei von acht Wochenstunden in den ersten drei Lernjahren. Die Zeit zum Üben und Vertiefen wurde dadurch weiter verknappt. Nicht zu unterschätzen sind auch die im Vergleich zu G9 viel volleren Stundenpläne im G8. Zwei bis drei Nachmittage mit bis zu vier Stunden Unterricht sind keine Seltenheit. Manche Schüler können irgendwann einfach nichts mehr aufnehmen.

Die grün-rote Landesregierung zerstörte ab 2011 ein gut funktionierendes Schulsystem sukzessive: Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung, Diskreditierung der Haupt- und Werkrealschule, Einführung der Gemeinschaftsschule, Abschaffung der Realschule »durch die Hintertür« durch die sogenannte »Realschule neu«, in der Schüler sowohl den Hauptschul- als auch den Realschulabschluss machen können. Über die massiven Probleme und den Frust vieler Lehrer an Gemeinschaftsschulen ist in der Presse ebenso wenig zu lesen wie über die latente Überforderung der Realschullehrer.

Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften sind Mangelware. 20 Jahre lang wurden die besten Lehrer nicht eingestellt, jetzt findet nahezu jeder Absolvent eine Anstellung. Teilweise greift man auch auf Quereinsteiger ohne pädagogische Ausbildung zurück. Das Lehramtsstudium wurde vom Staatsexamen auf das Bachelor/Master-System umgestellt, das Referendariat für das Lehramt an Gymnasien wurde um ein halbes Jahr gekürzt. Wie sollen auf diese Art und Weise weiterhin hoch qualifizierte Lehrer ausgebildet werden? Es scheint, dass die Bedeutung ihrer fachlichen und pädagogischen Kompetenz immer mehr abnimmt.

In der Gesellschaft scheint nur noch zu zählen, dass mit möglichst geringem Aufwand ein möglichst hoher Bildungsabschluss mit möglichst guten Noten erreicht wird. Das tatsächliche Leistungsvermögen der Schüler spielt dabei keine Rolle. Da muss das Niveau zwangsläufig sinken. Nicht zuletzt sind auch die Anforderungen an die Lehrer im sozialpädagogischen Bereich gestiegen. Die Problemfelder sind mehr und größer geworden, schwierige Schüler (und auch Eltern) oft eher die Regel als die Ausnahme. Leistungsbereitschaft und Konzentrationsvermögen in der Schülerschaft nehmen ab, und manche Eltern sehen sich eher als Anwalt ihrer Kinder denn als Erziehungs- und Bildungspartner der Lehrer.

Baden-Württemberg möchte weiterhin das Land der Tüftler und Denker sein, möchte innovative und kreative Köpfe in großer Zahl hervorbringen, das ist der Anspruch. Ich wünsche mir, dass für die Erfüllung dieses Anspruchs wieder die bildungspolitischen  Voraussetzungen geschaffen werden und auch ein Umdenken in der Gesellschaft einsetzt.

 

Barbara Schell, Eningen