»Letztmals prächtiger Sommerflor in den städtischen Blumenbeeten«, so titelte eine Zeitung am 24. Mai 2003. Da schwante mir schon damals, dass Reutlingen nach und nach zu einer Großstadt ohne Sommerflorbeete werden wird. Ich sollte recht behalten. Heute sind diese einst bunten »Visitenkarten« der Stadt ausgestorben. Ich habe es in all den Jahren auch beruflich bedingt hautnah miterlebt.
Gärtnermeister Josef Rohlmann, seit 1994 Leiter der städtischen Anzuchtgärtnerei, hatte es 2003 ein weiteres, allerdings letztes Mal geschafft, dass die im Stadtgebiet noch verbliebenen öffentlichen Blumenbeete prächtig bepflanzt werden konnten. Viele Tausende Fleißige Lieschen, Begonien, Tagetes und Verbenen, dazu Kap-Astern, Salvien und als Strukturpflanzen Margariten-, Lantanen- und Fuchsienstämmchen sowie Engelstrompeten, Ziertabak und Rhizinus. Nach seinen Plänen pflanzten die Stadtgärtner unter ihrem Vorarbeiter Bernd Bröhm am Listplatz, am Rathaus, am Kelternplatz, in der Planie, auf der Pomologie und an der Einfahrt nach Orschel-Hagen.
Schon vor 20 Jahren waren die farbenprächtigen Blumenbeete nur noch an diesen wenigen markanten Stellen der Stadt zu sehen. »Wir mussten in den letzten Jahren die Blühflächen aus Kostengründen immer mehr zurückfahren, mussten uns beschränken«, sagte mir Emil Will, der damalige Leiter der Grünflächenabteilung, schon 2002. Was für ein Wahnsinn. Und es sollte noch schlimmer kommen, viel schlimmer.
Nur ein Jahr später musste die Anzuchtgärtnerei nach 45 Jahren einer Wohnbebauung weichen. »Aus Kostengründen«, ließ mich die Stadtverwaltung damals wissen. Der Sparwahn in Sachen Blumenbeete sollte ungebremst weitergehen. Der »Rommelsbacher Kreisel« wurde ebenso eingesät wie die Fläche am Hohbuchknoten, die Blumenbeete am Albtorplatz in ein Staudenbeet umgewandelt. Und auch die Beete am Listplatz, seit eh und je das Prunkstück unter Reutlingens Sommerflor, wurden von Jahr zu Jahr immer weiter reduziert.
Im Jahr 2007 machte das städtische »Streichensemble« den Beeten auf der Pomologie den Garaus. Die Zeiten, als noch an vielen Stellen der Stadt farbenprächtige Blumenbeete angelegt wurden und auch an den Ortseinfahrten für buntes Blühen sorgten, gehörten dann 2012 endgültig der Vergangenheit an. Die Stadtverwaltung aber reduzierte »aus Kostengründen« unaufhörlich weiter. Nicht so in Tübingen, Mössingen, Bad Urach, Metzingen und noch anderen Städten der Umgebung, wo das Blühen von den Bürgern und insbesondere auch von Besuchern der Stadt nach wie vor sehr geschätzt wird. In der Achalmstadt dagegen wurde dem Rotstift weiterhin keine Ruhepause gegönnt. So auch nicht in den Jahren 2015 bis 2018 auf dem Listplatz, wo sich immer mehr Sommerflorbeete verabschieden mussten. War’s das endlich? Nein, es sollte noch viel schlimmer kommen!
2021 wuchs hier auf den noch verbliebenen Beetchen Hafer, im Jahr 2022 musste sich das Blühen auf ein paar einzelne Narzissen beschränken. Erschreckend und beschämend zugleich: Sucht man in diesem Jahr im gesamten Stadtbereich nach Sommerflor, findet man keinen einzigen Quadratmeter, nicht mal ein einziges Exemplar! Heimlich, still und leise verabschiedet in einer Großstadt, die sich Biosphärenstadt nennt und von einer künftigen Bundesgartenschau träumt. Gute Nacht Stadtverwaltung und auch gute Nacht Gemeinderat, aus dessen Reihen ich in den 20 Jahren nie Kritik an diesem städtischen Vorgehen gehört habe. »Wenn auf dem Rathaus gespart werden muss, dann immer zuerst am Grün, das war schon immer so«, sagte mir kürzlich ein seit vielen Jahren tätiger städtischer Mitarbeiter aus eigener Erfahrung. Was für ein Trauerspiel und Armutszeugnis!
Dietmar Czapalla, Reutlingen