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Aktuell Leserbrief

»Ein Aspekt, der zu kurz kommt«

Neues Stadtbuskonzept in Reutlingen (per E-Mail)

Stündlich fährt seit 9. September ein meist leerer Quartiersbus in unserer Straße, Reutlingen Nord, vorbei. Vielleicht sind das nur Anfangsschwierigkeiten. Vielleicht wurde auch der Bedarf falsch eingeschätzt. Keine Frage, das RSV-Konzept bietet Chancen, dass alte/gehbehinderte oder Menschen mit und ohne Führerschein auf den Bus umsteigen. Aber es gibt einen Aspekt, der bei all den Vorschusslorbeeren über den öffentlichen Nahverkehr in Reutlingen zu kurz kommt oder gar nicht erwähnt wird: das Mobilitätsverhalten des Einzelnen.

Diese Zeilen sind nicht an jene Menschen gerichtet, die in ländlichen Gebieten wohnen oder von einem mangelnden öffentlichen Nahverkehr betroffen sind. Denn sie sind auf ein Auto angewiesen, um zur Arbeit zu kommen, weil es oft in den Teilorten an Einkaufsmöglichkeiten fehlt und der Arztbesuch eine »Weltreise« bedeuten würde. Doch in stadtnahen Wohngebieten/Teilorten stehen oft ein, zwei oder drei Autos vor der Türe oder in der Garage und werden ebenso für sehr kurze Strecken benutzt.

Zweifelsfrei ist es verführerisch, sich ins Auto zu setzen und sich nicht wenige Schritte zur Haltestelle des Quartierbusses aufzumachen, um beispielsweise zum nächsten Anschlussbus ins Stadtzentrum zu gelangen. Wir Menschen haben uns jahrzehntelang an die selbstverständliche Nutzung nahezu jeder Strecke mit dem Privatauto gewöhnt. Die meisten Fahrten werden von einzelnen Personen zurückgelegt. Und im Zuge der extremen Individualisierung erscheint es vielen als Zumutung oder lästig, im Bus fremden Menschen gegenüberzusitzen oder auf einem Raum zu stehen; das Auto steht auch für das Merkmal der Unabhängigkeit. Im Zeitalter des Online-Einkaufs und der ständigen Verfügbarkeit vieler Dienstleistungen fällt es vielen schwer, sich auf den stündlichen Fahrplan eines Quartiersbusses einzulassen.

Ja, es schränkt die Bequemlichkeit ein, aber das Klima freut sich und die Beine ebenso. Und manchmal müssen wir uns ebenso zwingen, uns auf den Weg zur Haltestelle zu machen, insofern verstehe ich auch die Autofahrer. Man darf Auto fahren, doch man muss es nicht. Doch es hat seinen Preis. Wenn er/sie mit dem Auto nach Reutlingen will, muss ein Parkplatz gesucht werden, Parkgebühren sind zu zahlen, oft gibt es Staus, man verfährt unnötig Sprit und verursacht zusätzlichen Lärm/Feinstaub – eine Gesundheitsbelastung, die oft unterschätzt wird.

Wenn es so weitergeht, dass nur der Busfahrer im Quartiersbus sitzt und hier und da ein Fahrgast, der seine Trägheit überwindet, dann wird das Konzept der Quartiersbusse scheitern.

 

Roland Riedl und Gisela Etzel, Reutlingen