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Aktuell Leserbrief

»Die letzten AKWs steuerten nur 5 Prozent Strom bei«

Zum Leserbrief »Habeck hat die Öffentlichkeit belogen« vom 11. Mai (per E-Mail)

Herr Dr. Ludwig, der Atomausstieg wurde vom Kabinett CDU, CSU, FDP im März 2011 eingeleitet und vom Deutschen Bundestag am 30. Juni 2011 im breiten Konsens beschlossen mit der Festlegung, dass die letzten drei Meiler bis zum 31. Dezember 2022 abgeschaltet sein müssen. Minister Habeck willigte in schwieriger Situation Ende 2022 ein, diese drei Kraftwerke mit noch verwendbaren Brennstäben bis 15. April 2023 weiterlaufen zu lassen. Auf diesen Kompromiss hätte er mit Verweis auf die Entscheidung in 2011 überhaupt nicht eingehen müssen. Die großen Energieversorger wollten gerne ihre vollständig abgeschriebenen Kraftwerke noch weiterlaufen lassen und damit (bedingt durch sehr hohe Gaspreise, die laut Merit Order den Strompreis für alle Erzeuger bestimmen) ihre satten Profite weiter sichern.

Es ist allerdings Augenwischerei, der Atomkraft zuschreiben zu wollen, für günstige Strompreise in Deutschland sorgen zu können. Die drei letzten AKWs steuerten im März 2023 zur Stromerzeugung gerade mal 5 Prozent bei. Der Weiterbetrieb dieser abgeschriebenen Anlagen hätte den Strompreis nur geringfügig beeinflusst. Strom aus neu gebauten AKWs kostet in der Herstellung bei unterstellten 40 Jahren Laufzeit je nach Infoquelle zwischen 13 und 20 ct/kWh (ohne Endlager- und Umweltfolgekosten). Für den Strom aus Freiflächensolaranlagen zahlen wir gemäß dem Ergebnis der letzten Ausschreibung der Bundesnetzagentur vom 1. März 2024 lediglich zwischen 3,6 bis 5,5 ct/kWh, also nur rund ein Viertel des Preises für neuen Atomstrom. Der IPCC macht klar: »Neu errichtete Kernkraftwerke waren zu keiner Zeit wettbewerbsfähig und werden es auf absehbare Zeit auch nicht werden«.

Nicht einmal der Ersatzbau für ausgemusterte AKWs gelingt: Der weltweite Stromerzeugungsanteil der Atomenergie ging laut DIW zwischen 1985 und 2021 von 15,1 auf 9,8 Prozent zurück. 2018 waren 450 Reaktoren am Netz, 2023 nur noch 412. Der World Nuclear Industry Status Report (WNISR) kam in seinem jüngsten Bericht vom 6. Dezember 2023 zu dem Schluss, dass der von 22 COP28-Staaten gewünschte massive Ausbau der Nuklearenergie völlig unrealistisch und viel zu teuer ist. Der hauptsächlich von Frankreich favorisierte Small Modular Reactor (SMR) wird derzeit im US-Bundesstaat Idaho aufgegeben, da sich der Strom nicht verkaufen lasse. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) moniert, dass die bis zu nötigen 10.000 SMRs weder ökonomisch noch sicherheitstechnisch signifikante Vorteile brächten. Das britische AKW Hinkley Point C verteuerte sich von ursprünglich 21 auf aktuell geschätzte 53 Milliarden Euro, weshalb der chinesische Investor CGN aus dem Projekt ausstieg. Die Bauzeiten steigen zudem ebenfalls an: Das 2023 ans Netz gegangene finnische Kraftwerk Olkiluoto 3 benötigte knapp 18 Jahre statt ursprünglich veranschlagten 6 Jahre (bei von 3 auf 11 Milliarden Euro erhöhten Kosten).

AKWs sind zudem bei Weitem nicht »klimaneutral«. Laut TÜV Nord bewegt sich die CO2-Belastung bei Windkraftanlagen je nach Windhöffigkeit zwischen 7 g und 11 g pro kWh, durch Atomkraft werden laut Umweltbundesamt 56 g CO2 verursacht – jeweils inklusive sogenannter »Vorketten« (Herstellung Kraftwerke und Brennstoffe). Die Entsorgung des Atommülls ist noch ungeklärt und dabei noch nicht berücksichtigt. Der IPCC-Report von 2014 geht für den Lebenszyklus eines AKW sogar von bis zu 110 g CO2 aus, das World Information Service on Energy kommt auf 117 g, die Stanford University im Atmosphere and Energy Program auf bis zu 180 g pro kWh. Damit hätte der Weiterbetrieb der drei AKWs in Deutschland über den 15. April 2023 hinaus eine jährliche CO2-Einsparwirkung von nur rund 8 Millionen Tonnen CO2 gebracht, läge in derselben Größenordnung wie ein Tempolimit in Deutschland von 120 km/h (was die FDP als völlig marginal betrachtet).

 

Dr. Martin Schöfthaler, Betzingen