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Aktuell Leserbrief

»Betreutes Wählen braucht es nicht«

Zum Leserbrief »Wer Hass verbreitet, ist für Gläubige nicht wählbar« vom 11. Mai (per E-Mail)

Es ärgert mich zunehmend, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften ihren »Gläubigen« sagen wollen, was sie wählen sollen und, vor allem, was sie nicht wählen sollen. Das ist nicht Aufgabe der Kirche. Was die Mitglieder einer Kirche verbindet, ist nicht eine politische Haltung irgendeiner Couleur, sondern das Bekenntnis zu Jesus Christus. Die politische Wahlentscheidung der »Gläubigen« haben wir schlicht zu respektieren. Der Liebe sind wir Christen verpflichtet, gewiss, aber wer hat denn »Hass und Menschenverachtung« in seinem Parteiprogramm?

Sind wir so sicher, dass die Menschen, die sich für diese Partei zur Wahl stellen, deren Bild und Name in derselben Ausgabe des GEA veröffentlicht wurden, Menschenverächter und Hassende sind? Das sind doch Zuschreibungen, die aus politischen Motiven oder fragwürdigen Berichten (zum Beispiel »Correctiv« und Wannsee et cetera) entstehen, aber keine Fakten! Sehen wir eigentlich noch, wie Menschen, die dieser Partei nahestehen, ausgegrenzt, diffamiert und mit Hetze überzogen werden – nun auch noch in der Kirche? Übersehen wir mit Absicht oder gar mit stiller Zustimmung, dass Menschen, die diese Partei vertreten, am häufigsten Opfer von politisch motivierter tätlicher Gewalt werden?

Auf der Titelseite des GEA vom 11. Mai wurde ja über den Vorfall in Stuttgart berichtet, sehr verständnisvoll im Blick auf die Täter. »Ganz xy hasst die AfD!« – das wird lauthals skandiert bei Versammlungen gegen »Rechts« – hören wir eigentlich noch, was da gerufen wird?

Respekt, Menschenrechte und Würde sind wichtige Grundlagen unseres Gemeinwesens. Dass das so bleibt, auch gegenüber Menschen und »Gläubigen«, die eine andere Wahlentscheidung treffen als ich, dafür möchte ich werben.

Es gibt Christen in dieser stigmatisierten Partei, wollen wir ihnen das Christsein absprechen? Im Übrigen halte ich eine Demokratie dann für gefährdet, wenn parlamentarisch legitimierte Opposition als Bedrohung derselben verhandelt wird, anstehende Wahlen zum Problem gemacht werden und man nicht mehr miteinander redet. Nehmt einfach die Wahlberechtigten ernst und deren Entscheidung. Betreutes Wählen braucht es nicht – auch nicht in der Kirche.

 

Normann Grauer, Sonnenbühl