REUTLINGEN. Acht Jahre war der Reutlinger Unternehmer Dr. Oleg Leis unschuldig in russischer Haft. Als er auf abenteuerliche Weise zurück nach Reutlingen kam, hatte er hier alles verloren: seine Firma, seine Familie und seine Gesundheit. Im Gefängnis waren ihm beide Knie gebrochen worden. Er lebt von Hartz IV. Kürzlich berichtete er im GEA davon, wie er 2014 verhaftet wurde, während er beruflich auf der Krim unterwegs war – ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Halbinsel von Russland annektiert wurde. Von den Reaktionen der GEA-Leser auf den Artikel ist Oleg Leis überwältigt. Ein Leser will ihn mit Geld unterstützen.
»Ich hatte den Eindruck, dass meine Geschichte niemanden interessiert«
Das Büro des CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Donth hat sich bei ihm gemeldet und im Februar einen Gesprächstermin ausgemacht. »Wie ehrlich darf ich denn mit einem deutschen Politiker reden?«, erkundigt sich Leis im Telefonat mit dem GEA. Denn von der deutschen Politik ist der gebürtige Ukrainer mit deutscher Staatsbürgerschaft schwer enttäuscht worden. Unzählige Eingaben hat er aus russischer Haft an das Außenministerium und das Europaparlament geschrieben, und keiner wollte oder konnte ihm helfen. »Ich hatte den Eindruck, dass meine Geschichte dort niemanden interessiert«, sagt Leis. Immer wieder sei er von der einen Behörde zur anderen verwiesen worden, und keiner habe sich für sein Schicksal zuständig gefühlt. Dieses Gefühl, dass sich niemand um ihn kümmerte, sitzt tief. Erst langsam beginnt er, wieder Vertrauen in deutsche Institutionen zu fassen.
Der Schritt, in die GEA-Redaktion zu kommen, war für Leis ein großer und nur möglich, weil ihn ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der Reutlinger Tafel begleitete. »Wissen Sie, ich habe viele schlechte Dinge über Journalisten gehört, aber dieser Artikel über mich und mein Schicksal hat mir sehr geholfen und mein Leben verändert«, sagt Leis. Seine 72-jährige Nachbarin habe ihm erzählt, dass sie von einer alten Schulkameradin auf ihn angesprochen worden sei. »Es hilft mir schon, dass es die Leute so bewegt, was mit mir passiert ist. Dafür bin ich sehr dankbar«, sagt Leis.
»Ich stehe jeden Morgen auf und schreibe über meine Erlebnisse«
Oleg Leis hat wieder Mut gefasst und will seine Geschichte jetzt allen erzählen. »Ich stehe jeden Morgen auf und schreibe an einem Buch über meine Erlebnisse im Straflager«, sagt er. »Das ist kein Fantasyroman, kein Märchen. Das ist das echte Leben, und ich habe mir das nicht ausgedacht«, sagt er.
Leis hofft auf Gerechtigkeit. Darauf, dass sich Russland eines Tages bei ihm entschuldigt, für das Leid, das ihm angetan wurde. Und darauf, dass es irgendwann einen Strafprozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen Putin gibt. Leis sucht nach einem Rechtsanwalt, um Russland auf Schadensersatz für seine Haft und Zwangsarbeit zu verklagen. »Der Pfullinger Rechtsanwalt, der sich in den letzten Jahren sehr für mich eingesetzt hat, ist inzwischen im Ruhestand«, sagte Leis. Aber der ehemalige Gefangene hat kein Geld, um einen Rechtsanwalt zu bezahlen.
Kürzlich hat ihn der Chef des Straflagers in Wolgograd, wo auch Leis gefangen war, kontaktiert. 2 000 ukrainische Männer zwischen 25 und 40 Jahren seien beim Abzug der Russen aus Cherson verschleppt worden und im Straflager gelandet. »40 von diesen Männern sind entlassen worden, aber sie kommen nicht aus Russland heraus. Jetzt hat mich der Gefängnisdirektor kontaktiert, ob ich, als jemand, der es aus Russland heraus geschafft hat, nicht Kontakte habe, um weiteren Menschen aus Russland herauszuhelfen.« Leis würde gerne Menschen helfen, die ein ähnliches Schicksal haben wie er und unschuldig in das Straflager-System geraten sind. Ohne Hilfe sei das in Kriegszeiten aber schwierig. (GEA)