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Zwischen Radarsystemen und Regierungskrise: Scholz in Ulm

Zuerst gönnt er sich ein Bier, dann besucht er einen Rüstungskonzern - Kanzler Scholz macht sich in Ulm ein Bild von der Industrie vor Ort. Der Besuch wird überschattet vom Rücktritt seiner Verteidigungsministerin.

Bundeskanzler Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz. Foto: Bernd von Jutrczenka
Bundeskanzler Olaf Scholz.
Foto: Bernd von Jutrczenka

Es ist schon ein besonderer Besuch zu besonderen Zeiten, den der Kanzler Olaf Scholz da am Montag im Südwesten absolviert. Nicht nur die Kombination der Firmen, die der SPD-Politiker in Schwaben besucht, mutet etwas originell an - erst Bierbrauerei, dann Rüstungsfirma. Nein, in Berlin herrscht außerdem ein Hauch von Regierungskrise. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bittet Scholz am Vormittag nach mehreren Pleiten und Pannen um Entlassung. In Ulm wirft das die Frage auf, ob der Kanzler überhaupt die monatelang geplanten Termine wahrnimmt. »Wir haben uns schon mal gefragt, ob er überhaupt kommt«, räumt der Sprecher der Rüstungsfirma Hensoldt ein. »Regierungskrisen sind nie gut.«

Doch Scholz kommt. Um 12.28 Uhr fahren die schwarzen Regierungslimousinen bei der Traditionsbrauerei Gold Ochsen vor. Scholz lässt sich von der Kabinettskrise nichts anmerken. Gut gelaunt steigt er aus dem Wagen, mit seinem ganz scholztypischen Lächeln. Er wirkt entspannt, schüttelt Hände, winkt den Journalisten zu. Nach der Brauereiführung gönnt er sich gar eine Kostprobe von dem untergärigen Vollbier, das im Ulmer Osten gebraut wird. »Nur ihr kriegt nichts ab«, sagt er mit dem Bierglas in der Hand zur Presse. Fragen zur Verteidigungsministerin ignoriert er hingegen. Aber warum besucht der Kanzler eine Brauerei? Es gehe es um die Herausforderungen in der aktuellen Energie- und Nahrungsmittelkrise, heißt es im Vorfeld.

Nach der Brauerei geht es zur Rüstungsfirma. Hensoldt ist einer der wichtigsten Player in der Branche. Um 13.41 Uhr läuft Scholz durchs Firmentor, lässt sich mit den Vorständen ablichten. »Ein paar Leute sind größer als ich«, witzelt er vor der Fotoleinwand. Beim Rundgang informiert er sich über die neuesten Radarsysteme, die die Firma entwickelt - etwa ein Passivradar, das nicht detektierbar ist. Außerdem wird dem Kanzler eine Sensorkombination präsentiert, die einer Panzerbesatzung eine Rundumsicht erlaubt.

Die Firma Hensoldt sitzt in Taufkirchen, hat aber den größten Produktionsstandort in Ulm - und ist ein klarer Krisengewinner. Hensoldt erwartet wegen der wachsenden Wehretats vieler westlicher Länder infolge des russischen Kriegs gegen die Ukraine ein noch größeres Geschäftswachstum. Präsentiert wird Scholz auch ein Hochleistungsradar für die Luftverteidigung mit Lenkflugkörpern, die Ziele im Umkreis von 250 Kilometern detektieren können. Das Radar ist derzeit unter anderem im Krieg in der Ukraine im Einsatz. Für die Firma sei der Besuch des Kanzlers sehr wichtig, sagt ein Sprecher - schließlich sei die Bundesregierung der wichtigste Kunde.

Scholz betont in der Werkshalle die Bedeutung einer leistungsfähigen Rüstungsindustrie in diesen Zeiten. Er erinnert an die von ihm ausgerufene Zeitenwende angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Die Bundesrepublik müsse in der Lage sein, sich zu verteidigen, und deshalb langfristige Kooperationen mit der Industrie zustande bringen. Ein Sondervermögen für die Verteidigung in Höhe von 100 Milliarden Euro und das Vorhaben, dauerhaft zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in Verteidigung zu investieren, sei auch verbunden mit einer leistungsfähigen Industrie, die in der Lage sei, die Wünsche zu bedienen. »Ihre Firma Hensoldt ist bereit zu liefern«, sagt Vorstandschef Thomas Müller dem Kanzler. Es gehe um die Verteidigung der liberalen Grundordnung.

Ganz zum Schluss geht Scholz dann doch noch auf die Causa Lambrecht ein. Er habe viele Jahre gut und gerne mit ihr zusammengearbeitet, sagt er. Er dankt ihr für die Arbeit und betont, er habe hohen Respekt vor ihrer Entscheidung. Die Nachfolge solle sehr bald bekanntgegeben werden.

»Ich habe eine klare Vorstellung und das wird sehr schnell für alle bekannt werden, wie das weitergehen soll«, sagt Scholz. Die Bundeswehr und alle, die sich um die Verteidigung bemühten, hätten verdient, dass die Nachfolge schnell geklärt werde. »Ich weiß, wie es aus meiner Sicht weitergehen soll und wir werden das dann auch rechtzeitig bekanntgeben.« Aber, das stellt der Kanzler auch klar, sei heute nicht der Tag, um die Nachfolge zu verkünden.

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