Mit dem neuen Klimaschutzgesetz setzt sich die grün-schwarze Landesregierung zwar große Ziele, doch die Umsetzung ist an vielen Stellen noch ungeklärt. Bis 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen über alle Bereiche hinweg um die Hälfte gesenkt werden - und das in Zeiten der Energiekrise. Umweltministerin Thekla Walker betonte am Dienstag in Stuttgart, dass das Gesetz nur die Leitplanken setze und die Ressorts nun schnell die erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssten. »Das ist nicht ein Wünsch-Dir-Was, sondern das ist verbindlich«, sagte die Grünen-Politikerin. »Es kann nicht verschoben oder ausgewichen werden. Jeder Bereich muss liefern.« Es werde jedes Jahr von Sachverständigen überprüft, ob die Maßnahmen ausreichen. Das Gesetz sieht aber keine Möglichkeit vor, die Ziele einzuklagen.
Kretschmann überzeugt: Alle stehen fest dahinter
Klar ist: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten ihre Anstrengungen vervielfachen, um die neuen Ziele zu erreichen. Vor allem beim Verkehr dürfte es im Autoland Baden-Württemberg schwer werden, den hohen Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid kurzfristig stark zu verringern. Grüne und CDU hatten sich vergangene Woche nach langem Ringen auf einen Entwurf geeinigt, nachdem sich die Ministerien gegen zu ambitionierte Ziele gewehrt hatten. »Es war mein fester Eindruck, dass jetzt alle fest dahinterstehen«, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Mit der Novelle will Baden-Württemberg das erste Bundesland sein, das konkrete Ziele für die Reduzierung von CO2 für Verkehr, Gebäude und Wirtschaft gesetzlich verankert. Ursprünglich wollten die Grünen auch eine Ausweitung der Solarpflicht auf alle Gebäude im Land, doch das wurde verschoben. Kretschmann sagte, das sei nicht schlimm, da es eh an Handwerkern fehle. Zudem gebe es noch rechtliche Fragen zu klären. Auf die Frage, ob die Sparziele nicht zu hoch gegriffen seien, sagte er: »Ob wir die Ziele letztlich schaffen, ergibt sich erst hinterher.« Er hofft auch noch auf Innovationen wie etwa Solarpanele mit höherem Wirkungsgrad, die den Klimaschutz erleichterten.
Viele Zweifel bei Opposition und Umweltverbänden
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hält die Klimaziele für überzogen. »Der Ministerpräsident überführt sich selbst mit völlig unrealistischen Plänen der Hochstapelei.« Die Sozialdemokraten forderte Grün-Schwarz auf, endlich mutige Schritte zu gehen statt ständig neue Ziele zu formulieren. Die Umweltverbände begrüßten die Novelle zwar grundsätzlich, doch es gab auch Kritik. Der Entwurf sei geprägt von »Unverbindlichkeit«, monierte BUND-Landeschefin Sylvia Pilarsky-Grosch. Es gebe viele Soll- statt Muss-Bestimmungen und es fehlten Sanktionsmöglichkeiten, wenn Ziele nicht erreicht würden. »Selbstkontrolle funktioniert in einer Koalition nicht.« Zudem bedauern die Verbände, dass beim größten Umweltsünder Verkehr noch keine konkreten Maßnahmen vorgestellt wurden.
Insgesamt 27 Gesetze und Verordnungen wollen Grüne und CDU ändern, um den Klimaschutz im Südwesten voranzubringen. Grün-Schwarz will bis 2030 den Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber dem Jahr 2019 um nochmal über 50 Prozent senken. Bis 2040 soll das Land klimaneutral werden. Klimaneutralität bedeutet, dass nur noch so viele Treibhausgase ausgestoßen werden dürfen, wie wieder gebunden werden können.
»Sorgenkind« Verkehr: CO2-Ausstoß muss bis 2030 um 58 Prozent runter
Die größte Herausforderung liegt ohne Zweifel im Verkehrssektor: Wurden hier im Jahr 1990 noch 20,3 Millionen Tonnen ausgestoßen, waren es 2019 sogar 22,2 Millionen Tonnen. Das Ziel bis 2030 ist aber: 9,2 Millionen Tonnen. Es müsste um 58 Prozent heruntergehen. Kretschmann zeigte sich zufrieden damit, dass die Autohersteller im Land nach und nach auf »emissionsneutrale Fahrzeuge« umstellen. »Ich kann mich nicht beklagen.«
Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte der dpa: »Im Klimaschutzgesetz sind Kreiskoordinatorinnen und -koordinatoren für Mobilität und Klimaschutz, Photovoltaik an Verkehrswegen sowie weitere Regelungen für die Verkehrswende und nachhaltige Mobilität enthalten.« Alles andere komme später: »Da das Verkehrsministerium derzeit ein Landesmobilitätsgesetz erarbeitet, haben wir auf weitere Differenzierungen im Klimaschutzgesetz verzichtet.« Der BUND sieht darin das größte Manko des Entwurfs. »Das wird dem Ernst der Lage absolut nicht gerecht«, sagte Pilarsky-Grosch.
Ambitionierte Ziele auch für Gebäude und Industrie
Auch im Gebäudebereich steht das Land vor großen Herausforderungen. Im Jahr 1990 wurden hier mehr Treibhausgase ausgestoßen als im Verkehr, nämlich 21 Millionen Tonnen. Bis 2019 hat sich das etwas gebessert auf 17,6 Millionen Tonnen. Doch bis 2030 soll dieser Wert auf 10,7 Millionen Tonnen sinken, das wäre ein Minus von 39 Prozent. Und das erfordert massive Investitionen in Dämmung und erneuerbare Energien bei Wärme- und Stromerzeugung. Walker verwies darauf, dass die Kommunen künftig auch die Eigentümer von älteren Gebäuden zwingen können, sich an ein neues Wärmenetz anzuschließen. Außerdem werde es eine Solarpflicht für landeseigene Gebäude geben und auch beim Denkmalschutz soll der Photovoltaik Vorrang eingeräumt werden.
Die Energiewirtschaft, die sich derzeit wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs erneut umstellen muss, muss ebenfalls die Emissionen kräftig senken. 1990 lag der Ausstoß bei 19,9 Millionen Tonnen, 2019 noch bei 15,9 Millionen Tonnen. In sieben Jahren soll er bei 5,1 Millionen Tonnen liegen, ein Rückgang um 68 Prozent. Um die Vorgaben für 2030 zu erreichen, müsste es bei dem Datum für den bisher geplanten Kohleausstieg im selben Jahr bleiben.
Die Emissionen der Industrie im Land müssen auch stark gesenkt werden. Im Jahr 1990 lagen diese bei 18,8 Millionen Tonnen, 2019 noch bei 12,7 Millionen Tonnen. 2030 sollen es nur noch 7,2 Millionen sein, ein Minus von 43 Prozent. Und nicht zuletzt die Landwirtschaft soll verstärkt zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen. 1990 wurden hier 6,1 Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen, 2019 noch 4,9 Millionen Tonnen. Das Ziel für 2030: 3,7 Millionen Tonnen. Auch hier muss Agrarminister Peter Hauk (CDU) noch ein Konzept nachliefern.
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