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Zwei Jahre Corona im Südwesten - Was das Land gelernt hat

Ein 25-Jähriger bekommt Ende Februar 2020 nach seiner Rückkehr aus Italien Husten. Zwei Jahre später haben sich mehr als 1,8 Millionen weitere Menschen im Südwesten nachweislich mit Corona infiziert. Welche Lehren hat das Land aus dieser Zeit gezogen?

PCR-Test
Symbolbild: PCR-Test. Foto: Britta Pedersen
Symbolbild: PCR-Test.
Foto: Britta Pedersen

STUTTGART. »Es gibt keinen Grund zur Unruhe«, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha. Die Aufregung war groß: Am Tag zuvor, dem 25. Februar 2020, war das damals neuartige Coronavirus erstmals im Südwesten nachgewiesen worden - bei einem 25-Jährigen aus dem Landkreis Göppingen, der nach seiner Rückkehr aus Italien Husten bekommen hatte. Auch zwei Tage nach der Meldung schlug Lucha ruhige Töne an: »Es gibt nach wie vor keinen kursierenden Virus bei uns.«

Zwei Jahre und vier Wellen später haben sich mehr als 1,8 Millionen Menschen im Südwesten nachweislich mit diversen Varianten des nicht mehr ganz so neuartigen Coronavirus infiziert. Mehr als 14 000 Menschen sind nach Angaben des Landesgesundheitsamts an oder mit dem Virus gestorben. Mehr als acht Millionen im Land haben sich mindestens einmal gegen Corona impfen lassen. Nach Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Zugangskontrollen versprechen umfassende Öffnungen nun wieder etwas mehr Normalität. Doch was hat das Land in der Zwischenzeit aus den Pandemie-Erfahrungen gelernt?

Gesundheitsämter: Die Behörden hätten erst mal lernen müssen, wie eine Pandemie überhaupt verläuft, sagt Brigitte Joggerst, Landesvorsitzende des Ärzteverbandes des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Baden-Württemberg. Die Politik habe aber auch gelernt, dass die Reduzierung des Personals in den Ämtern in den vergangenen 20 Jahren von Nachteil gewesen sei. Wegen Corona wird nun wieder aufgestockt: 264 neue Stellen schuf das Land im öffentlichen Gesundheitsdienst, 251 wurden dem Gesundheitsministerium zufolge schon besetzt. Weitere 467 Stellen seien im laufenden Jahr geplant.

Für die Arbeit in einer Pandemie würden die bisher geschaffenen Stellen zwar nicht ausreichen, sagt Joggerst. »Wir wissen jetzt aber, wie und wo Personal gewonnen werden kann und wie es rasch geschult werden kann.« Digital seien die Gesundheitsämter im Land ebenfalls deutlich besser aufgestellt als noch vor zwei Jahren - auch wenn Meldungen aus Kliniken und Heimen teils immer noch per Fax kämen.

Schulen: Unterricht in Kohorten, mit Laptop am Küchentisch oder mit Maske in Klassenzimmern - für Schüler und Lehrer geriet im Südwesten wegen Corona einiges durcheinander. Gerade beim Thema Digitalisierung hätten die Schulen zwar »große Fortschritte« gemacht, sagt die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Monika Stein. Aber: »Für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind sie noch nicht ausgestattet.« Das Land müsse zum Beispiel die langfristige Wartung von Tablets und Laptops sicherstellen, zudem brauche es Fortbildungen für Lehrer in Sachen Digitalisierung.

Unternehmen: »Hier hatte kaum jemand eine Ahnung, was eine Pandemie ist«, sagt Uschi Götz, Sprecherin des Verbands Unternehmer Baden-Württemberg. »Jetzt haben alle eine Großübung über eine lange Zeit hinweg gehabt.« Flexiblere Schichtmodelle in der Industrie, mehr Homeoffice statt Büro - all das werde wohl auch nach Corona in vielen Unternehmen beibehalten: »Mit Sicherheit bleibt das als Entwurf in der Schublade bei einer möglichen weiteren Pandemie.«

Auch kleinere Betriebe hätten in der Pandemie dazugelernt, sagt die Sprecherin des Bunds der Selbstständigen in Baden-Württemberg, Sybille Erhardt. Viele hätten eigene Online-Shops eingerichtet oder über soziale Netzwerke Kontakt zu ihren Kunden gehalten, als der Einzelhandel geschlossen wurde. All das sei aber auch von der Internetversorgung vor Ort abhängig gewesen, betont Erhardt. Gerade in ländlichen Regionen sei die teils immer noch ein Problem.

Verwaltung: Online-Terminvergabe, Anträge im Internet, Einsatz von Chatbots - viele Rathäuser im Südwesten haben in Sachen Digitalisierung dazugelernt, sagt Antje Dietrich, Studiendekanin für digitales Verwaltungsmanagement an der Hochschule Kehl. Standardanträge wie Anwohner-Parkausweise oder die Anmeldung eines Hundes seien dabei leichter online machbar als zum Beispiel die Beantragung eines neuen Ausweises. »Gerade bei kleinen Kommunen sind die Fortschritte auch sehr personenabhängig - zum Beispiel davon, ob der Bürgermeister dahintersteht«, sagt Dietrich.

Allerdings müssten auch die Bürger erst lernen, die Möglichkeiten digitaler Behördengänge in vollem Umfang zu nutzen, betont Dietrich. Oft sei gar nicht bekannt, dass viele Anliegen auch im Internet erledigt werden könnten. »Die Zugänge sind zudem oft noch zu kompliziert und uneinheitlich«, sagt Dietrich. »Das muss smart werden.« Wichtig seien zum Beispiel Online-Bezahlmöglichkeiten und leichtere Authentifizierungen. »Das fordert der Bürger auch.«

Gesundheitsministerium: Hundesalons, Bordelle, Hotels - bei der Schließung vieler Betriebe wurde die Landesregierung von Gerichten zurückgepfiffen. Auch Einschränkungen wie nächtliche Ausgangssperren hielten den Bewertungen der Richter teils nicht stand. Ein Lernprozess? Das Gesundheitsministerium betont vielmehr, die Gerichte hätten die Verordnungen »bis auf ganz wenige Fälle bestätigt«.

Dazugelernt habe man aber in Sachen Kommunikation. Es könne durchaus der Eindruck entstanden sein, dass Änderungen der Corona-Regeln auch mal »etwas kurzfristig verkündet« wurden, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Man habe zwar versucht, »zeitnah und rechtzeitig« zu kommunizieren. »Wir haben uns aber vorgenommen, unsere Entscheidungen noch transparenter zu machen.« Die öffentliche Experten-Anhörung zur Belastung des Gesundheitssystems im Februar sei ein Beispiel dafür.

Landespolitik: Die grün-schwarze Landesregierung will mit einer eigenen Enquetekommission Lehren aus der Corona-Pandemie für künftige Krisen ziehen. Unter dem Titel »Krisenfeste Gesellschaft« sollen bis zum Frühjahr 2024 neue Vorschläge erarbeitet werden, wie man sich gegen Krisen wie etwa Cyberattacken oder die Klimakrise wappnen könne. Experten, Abgeordnete und Bürger sollen Teil der Gruppe sein.

Welchen Fokus die Kommission haben sollte, darüber waren sich die Parteien im Landtag zuletzt aber uneinig. SPD und FDP warfen Grün-Schwarz vor, sich einer Aufarbeitung der Corona-Politik zu verweigern. Die Fraktionschefs von Grünen und CDU, Andreas Schwarz und Manuel Hagel, betonten dagegen, der Fokus liege auf der Zukunft.

Allerdings würde auch er rückblickend manche Dinge anders machen, sagte Hagel. »Flächendeckende Schulschließungen etwa, mit ihren enormen Auswirkungen auch auf die Psyche junger Menschen, kann ich mir heute so nicht mehr vorstellen.«

Die Opposition sieht darüber hinaus genügend weitere Fehler zum Aufarbeiten. Gesundheitsminister Lucha sei »restlos überfordert« gewesen, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Corona habe gezeigt, dass Strukturen zur Digitalisierung »bei uns in wichtigen Bereichen teilweise auf dem Stand eines Entwicklungslandes sind«, findet FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Besonders pauschal fällt die Kritik von AfD-Fraktionschef Bernd Gögel aus: »Nichts lief gut.« (dpa)