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Zeitenwende bei Militär: Hermann gibt Kretschmann Kontra

Ist das ein letztes Aufbäumen der letzten Pazifisten bei den Grünen? Oder spricht der Altlinke Hermann mit seinem Nein zu schweren Waffen für die Ukraine so manchem aus der Seele? Super-Realo Kretschmann gibt eine andere Linie vor: »Der Staat kann nicht pazifistisch sein.«

Bei den Grünen im Südwesten ist eine Kontroverse über das Ja der Bundesregierung zu der Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine im Krieg gegen Russland ausgebrochen. Während Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) der Meinung ist, Berlin hätte Kiew sogar noch früher und schneller solche Waffen liefern müssen, stellte sich Verkehrsminister Winfried Hermann dagegen. Kretschmann sagte am Montag bei einem Besuch der Albkaserne in Stetten am kalten Markt: »Ich selbst bin kein Pazifist.« Und: »Der Staat kann nicht pazifistisch sein. Der Staat muss die Bürger schützen.« Deutschland müsse der Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung helfen. Hermann sagte dagegen in Stuttgart, dass »mit mehr Waffen mehr Gewalt und Gegengewalt entstehen kann«.

Hermann, der dem linken Parteiflügel angehört und sich als Pazifist bezeichnet, räumte ein, es sei eine »Dilemmasituation, wo es keinen befriedigenden Ausweg gibt«. Doch seine Meinung dazu sei: »Im Zweifel vorsichtig, eher nein. Es ist nicht friedensförderlich.« Panzer seien keine »Verteidigungsfahrzeuge«. Hermann sagte, er wundere sich, wie die Stimmung in der Politik in der Frage der Waffenlieferungen innerhalb weniger Wochen »komplett gekippt« sei. Er forderte seine Partei auf, den Diskurs über diese Frage zu öffnen, da auch die Bevölkerung hier gespalten sei.

Der Minister sagte, es sei ihm wichtig, »deutlich zu machen, dass es innerhalb der Grünen immer noch Menschen gibt, die eine andere Haltung haben und militärkritischer sind«. Der 69-Jährige fügte hinzu, er sei ganz bei den Autoren des offenen Briefs an Kanzler Olaf Scholz von Ende April. Darin wird der SPD-Politiker aufgefordert, nicht noch mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Zu den 28 Erstunterzeichnern gehören die Feministin Alice Schwarzer, der Sänger Reinhard Mey, der Schriftsteller Martin Walser und der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. Der Offene Brief wurde auf der Website des Magazins »Emma« veröffentlicht, jede und jeder kann ihn unterzeichnen. In der »Kontext Wochenzeitung« hatte Hermann jüngst gesagt: »Ich gehe als Pazifist ins Grab.«

Kretschmann, der zum Realoflügel der Grünen gehört, hatte die Verfasser des offenen Briefs hart kritisiert. »Es ist ein Irrtum, zu glauben, wir könnten Putin durch rationale Argumente oder Zurückhaltung bei Waffenlieferungen beeinflussen«, sagte er der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. Er finde es auch gut, »dass die Intellektuellen sich einmischen«. Trotzdem müsse er sagen: »Dafür, dass es Intellektuelle unterschrieben haben, hätten sie sich schon ein bisschen mehr anstrengen können. Die Argumentation ist arg platt.«

Bei dem Besuch in der Albkaserne zeigte der Kommandeur des Landeskommandos, Oberst Thomas Köhring, dem Ministerpräsidenten mehrere Panzer und anderes schweres Gerät - darunter auch die Panzerhaubitze 2000, von der 16 in Stetten stationiert sind. Die Bundesregierung hatte am Freitag verkündet, der Ukraine 7 Panzerhaubitzen 2000 zu liefern. Die Panzerhaubitze ist ein schweres Artilleriesystem mit einer Kanone auf einem Kettenfahrzeug und ähnelt damit einem Panzer.

Kretschmann sagte, es brauche eine einsatzfähige und wehrfähige Bundeswehr. »Wir sind in einer Zeitenwende aufgewacht.« Auch das Land Baden-Württemberg stehe hier in der Verantwortung.

Die Bundeswehr reagiert deshalb nun auch im Südwesten auf die neue Bedrohungslage. Im Ernstfall will sie schneller reagieren können und hat dafür Logistik-Einheiten auch im Südwesten reaktiviert. Die Wiederinbetriebnahmen des Materiallagers Hardheim und des Munitionsdepots in Walldürn erhielten eine neue Bedeutung vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs, sagte Generalleutnant Martin Schelleis am Montag bei der feierlichen Wiedereröffnung des 2018 aufgegebenen Logistikstandortes in Hardheim.

Aus Sicht der Bundeswehr sind die beiden reaktivierten Lager im Südwesten konkreter Ausdruck der Stärkung der Fähigkeit der Truppe zur Landes- und Bündnisverteidigung. »Eine robustere Truppe braucht verfügbares und durchhaltefähiges Gerät, Ersatzteile und Munition - das braucht Platz«, betonte Schelleis. Deshalb sollen bundesweit acht aufgegebene Logistikstandorte wieder geöffnet werden. Diese Entscheidung hatte bereits die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Anfang 2019 getroffen, so dass kein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine und mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr besteht.

Schelleis betonte mit Blick auf die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Zeitenwende: »Heute ist eine Konkretisierung der Zeitenwende.« Bürger hätten Fragen zu ihrer Sicherheit und die ihrer Kinder, ob der Krieg auf Deutschland übergreifen könne und ob die Bundeswehr fähig sei, ihre Aufgaben bei der Landes- und Bündnisverteidigung zu erfüllen. Das bei der Bundeswehr seit 1990 angehäufte Investitionsdefizit in Logistik und Infrastruktur bezifferte er auf 30 Milliarden Euro. Angesichts der fragilen Sicherheitslage müsse gehandelt werden.

Offener Brief

© dpa-infocom, dpa:220509-99-218013/3