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Zankapfel Lehrer-Arbeitszeit

Gymnasiallehrer wollen mit Klage Arbeitszeiterfassung erzwingen. Kommt das Ende des Deputatsmodells?

Pflichtstunden, Vor- und Nachbereitung von Unterricht, Korrrekturen, Elterngespräche und Verwaltungsarbeiten: Laut Studien mach
Pflichtstunden, Vor- und Nachbereitung von Unterricht, Korrrekturen, Elterngespräche und Verwaltungsarbeiten: Laut Studien machen viele Lehrkräfte Überstunden. FOTO: SCHWIER/FOTOLIA
Pflichtstunden, Vor- und Nachbereitung von Unterricht, Korrrekturen, Elterngespräche und Verwaltungsarbeiten: Laut Studien machen viele Lehrkräfte Überstunden. FOTO: SCHWIER/FOTOLIA

STUTTGART. Arbeiten Lehrkräfte in Deutschland zu viel oder zu wenig? Darüber gibt es ganz unterschiedliche An-sichten, wie viel sie jedoch genau arbeiten, wird bisher nicht erfasst. Zwei Gymnasiallehrkräfte aus Baden-Württemberg wollen dies nun ändern und haben deshalb vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen das Land eingereicht. Sie wollen mit diesem Schritt eine Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte erzwingen. Der Philologenverband Baden-Württemberg unterstützt sie dabei.

- Welchen Hintergrund hat die Klage?

Hintergrund ist ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2022. Dieses besagt, dass die Erfassung von Arbeitszeit in Deutschland verpflichtend sei. Dem vorausgegangen war das sogenannte »Stechuhr-Urteil« des Europäischen Gerichtshofs von 2019. Demnach müssen alle EU-Mitgliedsstaaten ihre Arbeitgeber dazu verpflichten, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Das Urteil wurde aus Arbeitnehmerschutzgründen erlassen, unbezahlte Überstunden sollen dadurch verhindert werden.

Die zwei vollzeitbeschäftigten Gymnasiallehrkräfte aus dem Regierungsbezirk Stuttgart, die nun Klage eingereicht haben, hatten über mehrere Jahre ihre Arbeitszeiten genau dokumentiert. Laut Philologenverband fiel das Ergebnis folgendermaßen aus: Die beiden, ein Mann und eine Frau, hatten jeweils mehr als 2.050 Stunden statt der für Landesbeamte vorgegebenen 1.804 Stunden im Jahr gearbeitet und damit rund 250 Überstunden geleistet. »Das sind volle sechs Wochen Mehrarbeit, die weder vergütet noch sonst irgendwie anerkannt wird«, kritisiert Ralf Scholl, Vorsitzender des Verbands der Gymnasiallehrer. Die Mehrarbeit von Lehrkräften im Land habe in den letzten Jahren Ausmaße angenommen, die, so Scholl, »einfach nicht mehr erträglich sind«.

- Was hat das Deputat damit zu tun?

Seit 150 Jahren gilt in Deutschland für Lehrkräfte das sogenannte Deputatsmodell: Danach werden nur die unterrichtsbezogenen Pflichtstunden (Deputate) festgelegt. Alle übrigen Tätigkeiten einer Lehrkraft, wie etwa die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, die Vorbereitung und Korrektur von Klassenarbeiten, Elterngespräche und Verwaltungsaufgaben bis hin zu der Organisation von Klassenfahrten sind in der übrigen Arbeitszeit zu erledigen.

Bei einem vollen Deputat in Baden-Württemberg müssen an der Grundschule 28 Pflichtstunden à 45 Minuten abgeleistet werden, am Gymnasium sind es 25. Lehrkräfte sind Landesbeamte und müssen somit 41 Wochenstunden arbeiten. Wie viel Zeit sie aber tatsächlich neben der reinen Unterrichtszeit für ihre Arbeit benötigen, wird bisher nicht erfasst und bleibt damit das persönliche Problem der Lehrkräfte.

- Was sagen aktuelle Studien?

In einer von der Telekom-Stiftung beauftragten Studie aus dem vergangenen Jahr kommt der ehemalige Staatssekretär für Bildung im Senat von Berlin und heutige bildungspolitische Strategieberater Mark Rackles zu folgendem Ergebnis: »Das Deputatsmodell ist alles andere als zeitgemäß. Es ist unflexibel, ungerecht, ineffizient und fördert Mehrarbeit und Überlastung bei den Lehrkräften.« Einheitliche Deputatsstunden trügen nicht der Tatsache Rechnung, dass der Arbeitsaufwand je Unterrichtsstunde eher vom Fach und von der Schulstufe abhänge. Der Aufwand für Vor- und Nachbereitung sowie Korrekturarbeiten könnten hier sehr unterschiedlich ausfallen.

Laut einer Studie der Universität Mannheim im Auftrag des Berufsschullehrerverbands Baden-Württemberg (BLV) aus dem Jahr 2023 leisten Berufsschullehrer im Durchschnitt drei Stunden Mehrarbeit pro Woche. Besonders stark von Überstunden betroffen seien Lehrkräfte in Teilzeit.

- Kann das Hamburger Modell Vorbild sein?

Hamburg ist das einzige Bundesland, das bisher vom gängigen Deputatsmodell abweicht. Bereits 2003 wurde dort die Arbeitszeit für Lehrkräfte neu geregelt. Es wurde ein Jahresarbeitszeitmodell eingeführt, das nach Fächern, Schulformen und Schulstunden differenziert. Ein Beispiel der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) Hamburg aus dem Jahr 2003 zeigt hier folgendes Beispiel auf: Für eine Unterrichtsstunde Deutsch in der 8. Klasse bekommt eine Lehrkraft statt 45 Minuten 1,7 Zeitstunden, also 102 Minuten, angerechnet. Doch auch bei diesem Modell wird bemängelt, dass die tatsächlichen Arbeitszeiten der dortigen Lehrkräfte bisher nicht gemessen wurden, die Arbeitsbelastung immer noch zu hoch sei. »Eine Überprüfung und Anpassung der Lehrerarbeitszeitverordnung ist überfällig«, schreibt Sven Quiring, Vorsitzender der GEW Hamburg.

Und auch Mark Rackles sieht beim Hamburger Modell noch Handlungsbedarf. In der Praxis habe sich die Herangehensweise dieses Modells ebenso wenig bewährt wie das Deputatsmodell.

- Wie geht es nun weiter?

Bremen hat letzte Woche als erstes Bundesland angekündigt, die Erfassung der Arbeitszeit von Lehrkräften nun tatsächlich anzugehen. »Das ist fast eine kleine Revolution«, kommentierte die Bremer Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) diesen Schritt.

Rein arbeitsrechtlich dürfte auch in Baden-Württemberg und in allen anderen Bundesländern in der Zukunft kein Weg an einer Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften vorbei führen. (GEA)