STUTTGART. Derzeit machen nicht nur die Pennäler Abitur an den Gymnasien, auch an den beruflichen Schulen laufen die Abschlussprüfungen. Hier dauert das Schriftliche, das die Abiturienten bereits hinter sich haben, noch bis zum 15. Mai. Landesweit sind das rund 35. 000 Prüflinge, erklärt das Kultusministerium des Landes. In der Winterprüfung im November und im kommenden Januar rechne man nochmals mit knapp 30.000 Berufsschülern in der schriftlichen Prüfung.
In der aktuellen Sommerprüfung sind in Stuttgart rund 4.800 Berufsschülerinnen und Berufsschüler gefordert. Die Zahl der Prüfungsteilnehmer ist dabei erneut gesunken, wie schon in den vergangenen Jahren. Zum Vergleich: In der Sommerprüfung des Schuljahrs 2017/2018, also vor der Coronapandemie, lag die Zahl der Prüflinge in den Berufsschulen der Landeshauptstadt bei rund 5.200. Das sind noch rund acht Prozent mehr gewesen.
»Die Banken haben festgestellt, dass sie Leute am Schalter brauchen«
Von April bis Juni sei man an den beruflichen Schulen »im Ausnahmezustand«, sagt Felix Winkler. Der Leiter der Schule für Farbe und Gestaltung und Geschäftsführende Schulleiter der Gewerblichen und Hauswirtschaftlichen Schulen erklärt das mit gutem Grund: In über 150 Berufen werden teils sehr unterschiedliche Prüfungen geschrieben, im Schnitt in sechs Fächern. Danach folgt der praktische Teil, der von den Wirtschaftskammern abgenommen, aber auch von den Berufsschulen organisiert wird.
Nicht nur die Zahl der Prüflinge, die Schülerzahl insgesamt ist gesunken. Derzeit würden an den Stuttgarter Berufsschulen 18.000 junge Leute unterrichtet. Vor einem Jahrzehnt seien es noch 24.000 Berufsschüler gewesen, sagt Winkler. Wie schon in den zurückliegenden Jahren werde es auch künftig immer wieder Aufs und Abs bei den Zahlen geben. Insgesamt werde der Abwärtstrend aber auch »in den nächsten Jahren anhalten«.
Mehrere Faktoren beeinflussen diese Entwicklung. Zum einen die Zahl der Azubis, welche die Ausbildung vorzeitig abbrechen. Eine Richtung weist die Zahl der diesjährigen Prüfungsteilnehmer. Bei rund 18.000 Berufsschülern und einer zumeist dreijährigen Ausbildungszeit müsste dies etwa ein Drittel der Gesamtzahl – also etwa 6.000 – sein und nicht 4.800. In manchen Berufen sei die Abbrecherquote hoch und liege bei 30 bis 40 Prozent. Dazu gehören laut dem Schulleiter etwa die Fachverkäufer im Lebensmittelhandel, Gebäudereiniger, die Azubis in der Hotellerie und Gastronomie sowie Bäcker und Maler. Das liegt aus Sicht von Winkler nicht an den Berufen selbst, sondern daran, dass in diesen Berufen oft noch Lehrstellen frei seien, die von Jugendlichen, die keinen anderen Platz gefunden haben, dann genommen, aber auch bald als doch nicht passend wieder aufgegeben werden.
Die in manchen Jahren »relativ starken Einbrüche« bei den Lehrstellenzahlen trafen zunächst vor allem die gewerblichen Berufe. Die Rückgänge in diesen Professionen hätten aber »deutlich abgenommen«, sagt Winkler. Im Handwerk sieht er bei den Lehrstellen die Talsohle möglicherweise erreicht. Seit geraumer Zeit sind eher die kaufmännischen Berufe von dem Minustrend betroffen. Hier, so zum Beispiel im Bankensektor, hat die Digitalisierung des Geschäfts viele Arbeitsplätze und somit auch Lehrstellen gekostet. Im kaufmännischen Bereich könnte künftig auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz entsprechende Folgen haben.
Rainer Denz, der Leiter der Kaufmännischen Schule Nord, sieht aber auch in diesem Berufsbereich eine Besserung der Ausbildungssituation heraufziehen und spricht von einer möglichen »Konsolidierung«. Nach jahrelangen Rückgängen, von denen ganz besonders die Berufe im Bereich Tourismus sowie die Sport- und Fitnesskaufleute betroffen waren, »scheinen die Zeichen gut zu stehen, dass im September zumindest wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht wird«.
»Speditionen wollen mehr einstellen, finden aber keine Bewerber«
Auch bei Banken und Versicherungen stabilisierten sich die Zahlen. Dort verzeichne man nur noch »einen leichten Rückgang«. Die Banken hätten inzwischen festgestellt, »dass sie Leute am Schalter brauchen«, sagt der Geschäftsführende Schulleiter der fünf Kaufmännischen Schulen in Stuttgart. Erfreulich sei auch, dass etwa von Autohäusern weiterhin viele Automobilkaufleute ausgebildet werden. Neben dem Stellenabbau durch Umstrukturierungen sieht Denz aber auch den Mangel an geeigneten Bewerbern als Limitierung. »Speditionen würden gerne mehr einstellen, finden aber keine Bewerber«, sagt der Schulleiter.
Dies sei auch in den Berufen so, die an der Kaufmännischen Schule Nord unterrichtet werden, also etwa bei Steuerfachangestellten, Justizfachangestellten und bei den Notarfachangestellten. »Auch Steuerberater würden gerne mehr Auszubildende einstellen, finden aber keine Bewerber«, sagt Rainer Denz. (GEA)