STUTTGART. Auf der kleinen und schmalen Weberstraße des Leonhardviertels befindet sich einer der ältesten Gullys der Stadt. »1889« ist auf dem Deckel zu lesen. Die unterirdische Kanalisation ist an diesem historisch bedeutsamen Ort – die gepflasterte Gasse zeichnet den Verlauf der einstigen Stadtmauer nach – über 130 Jahre alt. Das Viertel atmet Geschichte – und trifft nun auf den Charme eines modernen Nachtlokals. Gleichzeitig sieht es auf der Gasse aus, als würde die Müllabfuhr streiken.
»Die Stadt kommt ihrer Reinigungspflicht einfach nicht nach«
Bei der Eröffnungsfeier der Cocktailbar Easy Street gab es Lob auch von der Konkurrenz. Allein an der engen Weberstraße befinden sich jetzt drei Bars, außerdem noch Holzmaler und die Fou Fou Bar, wo man sich über den Neuzugang freut, weil dieser helfe, das Viertel attraktiver zu machen. Bei all der Freude über die kreative Ausgestaltung des Viertels sind die Wirte sehr verärgert. Die Stadt, sagen sie, lasse ihr Quartier links liegen und sie schlagen Alarm: »Stuttgart lässt das Leonhardsviertel verkommen!«
Vor der Eröffnung seines Easy Streets hat der Chef Ingo Hampf mit seinen Nachbarn John Heer die Gasse erst einmal durchgekärchert sowie den Müll, der vor den Häusern seit Tagen liegen blieb, in die Hauseingänge befördert. Zwei Stunden, sagen sie, habe das gedauert. »Wir haben die AWS mehrmals kontaktiert, damit die Reinigungsfahrzeuge endlich kommen«, sagen die Anwohner. Doch nichts sei geschehen. Auch das Altpapier werde nicht pünktlich abgeholt, und Müllsäcke blieben liegen. »Wir haben die Polizei verständigt, dass brennbare Abfälle herumliegen«, sagt Heer, »aber niemand ist gekommen.« Patrick Witz von der Fou Fou Bar klagt: »Unfassbar dreckig ist es in unserer Gasse, die Stadt kommt ihrer Reinigungspflicht einfach nicht nach.«
Jörg Kappler von der Bar Holzmaler weist auf ein weiteres Problem hin. »Die Straße und der Gehweg wurden in letzter Zeit mehrfach aufgerissen«, berichtet er, »danach ist ein grob fahrlässiger Flickenteppich entstanden, wo schon einige umgeknickt sind.« Kappler versteht nicht, warum die Stadt »die einzigartige Chance« nicht genutzt habe, den historischen Straßenbelag der Weberstraße – mit Blick auf die IBA 2027 – zu restaurieren und auf eine Ebene zu legen.
Anwohner kritisieren, dass die Polizei nichts gegen die Dealer und Prostituierten unternähme, die sich trotz des Verbots auf der Straße befänden. »Dagegen kommen die Beamten sofort, wenn es zu laut in einer Bar wird«, sagt einer, »dabei sind es gerade die Bars, die das Viertel vor dem Verfall retten.«
Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (Grüne) setzt sich dafür ein, die Müllverursacher ausfindig zu machen und zu bestrafen. Oft handele sich dabei um Sperrmüll aus illegaler Wohnungsprostitution sowie um Glasscherben von feiernden Menschen.
Das Leonhardsviertel, sagt Rathaussprecher Oliver Hillinger, werde als »Reinigungszone eins« dreimal wöchentlich gereinigt. Dafür zahlten die Anlieger jährlich 19 Euro pro Gehwegmeter. Da 2016 den Anliegern der Weber- und der Richtstraße dieser Betrag zu hoch war, habe die AWS die Straßen von der Reinigung ausgenommen. Die Anwohner seien für die Straßenreinigung selbst zuständig. Wirt Jörg Kappler erwidert, nur die Gehwege müsse man selber reinigen. Eine Straße verdrecken zu lassen, könne doch nicht »im Sinne der Stadtplanung« sein. (GEA)