Es gibt sicher niedlichere Tiere, die nach einem benannt sein könnten. Bienen zum Beispiel. Das Insekt, das fortan und für alle Zeiten den Namen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) trägt, kommt erstmal nicht als Publikumsmagnet und Sympathieträger daher. Lange Fühler, Borsten am Hinterteil, legt es seine Eier in Wirtstiere, welche dann von den Larven gefressen werden. Eine junge Stuttgarter Forscherin hat den parasitoiden Hautflügler auf einer Streuobstwiese in der Nähe von Tübingen entdeckt - und ihn »Aphanogmus kretschmanni« genannt.
Dabei hat man bei der Bezeichnung Wespe wohl erstmal ein falsches Bild im Kopf. Das Kretschmann-Tier ist lediglich einen Millimeter groß. Die Wespe trägt weder die wespentypische schwarz-gelbe Färbung, die sich eventuell für politische Vergleiche angeboten hätte, noch verfügt sie über einen Stachel am Hinterleib - dafür aber über seltsame Borsten, die den Wissenschaftlern noch Rätsel aufgeben. Auch wenn einigen Menschen zu Borsten der Bürstenhaarschnitt Kretschmanns in den Kopf kommen mag - den Vergleich zieht bei der feierlichen Namensgebung am Donnerstag im Stuttgarter Naturkundemuseum niemand.
Aber wozu nun die Borsten, die die neue Wespenart so einzigartig machen? Die Forscher vermuten, dass das Insekt die Stacheln nutzt, um harte Pflanzenoberflächen aufzurauen, um so an die Wirtstiere zu gelangen. Da sieht der Namensgeber selbst dann doch Parallelen zum Insekt. Die kleine Wespe bohre ja gewissermaßen mit ihren Stacheln dicke Bretter, sagt der Regierungschef. Und das verbindet ihn mit dem Tier, findet er: »Ich habe auch schon mal «Brettlesbohrer» geheißen.« Er sei schließlich wegen des Umwelt- und Naturschutzes 1979 in die Politik gegangen. »An diesem dicken Brett bohre ich nun seit über 40 Jahren in der Landespolitik.«
Der Biologe Kretschmann, der sonst bei Presseterminen gern mal grantelt, blüht regelrecht auf im Naturkundemuseum, zeigt sich sichtlich interessiert, sogar gerührt, spricht von einem »Feiertag für die Wissenschaft«. »Das ist der größte Tag in meinem Leben«, sagt er. Die Namensgebung für die winzige Wespenart sei die »schönste Anerkennung seines politischen Wirkens« für den Artenschutz. Im Keller des Museums, wo knapp 30 Exemplare der »Aphanogmus kretschmanni« konserviert werden, darf er seine Wespe dann durchs Mikroskop beäugen. »Die Stacheln kann man gut erkennen«, sagt er. Wenn eine neue Art nach einem benannt werde, sei man »Bestandteil der Welt, solange es die Zivilisation gibt«.
»Ich finde super, dass er sich für den Naturschutz und die Biodiversität einsetzt«, sagt Marina Moser, Doktorandin am Naturkundemuseum und Wespenentdeckerin, über den Namensgeber. Die 27-Jährige betont die Bedeutung der Landesinitiative »Integrative Taxonomie«, die sich der Erfassung von Tier- und Pflanzenarten widmet. Die Wespenart sei zudem »ein wichtiger Baden-Württemberger«, entdeckt in Tübingen, erforscht in Stuttgart, deshalb passe der Name Kretschmanns gut.
Dass seine Wespe ein Parasit ist, stört den Ministerpräsidenten überhaupt nicht. Die haben in der Natur ein schlechtes Image, findet er. Parasitoide Wespen halten als Gegenspieler anderer Insekten die Ökosysteme im Gleichgewicht. »Fressen und gefressen werden ist in der Natur ganz normal«, sagt Kretschmann. Auch unscheinbare und winzige Lebewesen hätten im großen Netzwerk der Natur eine wichtige Rolle. Kretschmann, der bereits Namensgeber für einen Kaktus ist, ist stolz auf sein Tier. Und: Gefragt nach parasitären Parallelen zu seinem Politikstil spricht er von einem »vollkommen irren Zusammenhang«.
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