Mannheim (dpa/lsw) - Der Bau mehrerer Windkraftanlagen im Südwesten verzögert sich. Der Grund: Das vom Land jahrelang empfohlene Vorgehen bei Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen war laut einem Gerichtsbeschluss rechtswidrig. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim stoppte den Bau zweier im Schwarzwald geplanter Windparks, deren Betreiber sich an die Vorgaben des »Windenergieerlasses« - einer Verwaltungsvorschrift der Landesregierung - gehalten hatten. Faktisch sind auch weitere geplante Windenergieprojekte im Land betroffen.
Bene Müller ist Vorstand von Solarcomplex, der Betreibergesellschaft des vom Baustopp betroffenen Windparks Länge. Er sagte: »Man ist schon sehr überrascht, dass es ein behördlich vorgegebenes Verfahren gibt, das als rechtswidrig erkannt wird von den Gerichten. Das ist die höfliche Umschreibung.« Laut dem Bundesverband Windenergie (BWE) ist die Entscheidung des Gerichts »besonders schmerzhaft, da sie den Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg deutlich zurückwirft«.
Konkret ging es um die Windparks Blumberg und Länge (beide Schwarzwald-Baar-Kreis). Die Betreiber hatten für die Anlagen im Wald Genehmigungen bei zwei verschiedenen Behörden eingeholt: Eine zur Nutzungsänderungen des Waldes vom Regierungspräsidium, eine andere nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz vom Landratsamt. Laut Verwaltungsgerichtshof hätten sie aber beide Genehmigungen konzentriert in einem Verfahren vom Landratsamt einholen müssen. Das Gericht verhängte im Dezember 2019 einen Baustopp und bestätigte damit als höchste verwaltungsrechtliche Instanz des Landes Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Freiburg vom Frühjahr 2019.
Das Verfahren ist zwar weiter beim VG Freiburg anhängig. Faktisch wirke sich aber der Beschluss der höheren Instanz entscheidend auf so ein Verfahren aus, sagte ein Sprecher des Verwaltungsgerichtshofs.
Das vom Gericht gekippte Vorgehen war jahrelang gängige Praxis im Südwesten gewesen: Die Landesregierung hatte im »Windenergieerlass« 2012 dieses »zweigleisige« Genehmigungsverfahren vorgegeben. Laut BWE hatte Baden-Württemberg damit »einen bundesweit einmaligen Sonderweg gewählt«. Der Verband habe das Vorgehen schon immer als Fehler angesehen, sagte die Landesgeschäftsstellenleiterin, Sandra Majer.
Der »Windenergieerlass« sollte »praxisorientierte Handreichung und Leitlinie« bei Planung, Bau und Genehmigung von Windkraftanlagen sein. Für nachgeordnete Behörden war der Erlass verbindlich. Bene Müller sagte: »Als Projektierung nimmt man logischerweise den Weg, der von der Behörde vorgegeben ist.« Der BWE teilte mit: »Die Projektierer trifft im Grunde keine Schuld.« Sie hätten sich an die Vorgaben der Landesregierung gehalten.
Diese hat bereits reagiert: Die Gültigkeit des »Windenergieerlasses« lief im Mai aus. Im Juli informierte das Umweltministerium Behörden und Vorhabenträger, die beiden Genehmigungen künftig konzentriert in einem Verfahren zu beantragen. Laut BWE sind im Südwesten aber mindestens 14 Windenergieprojekte mit 44 Windrädern mit einer Leistung von insgesamt 223 Megawatt (MW) in Genehmigungsverfahren oder haben bereits eine Genehmigung nach dem vom Gericht gekippten »zweigleisigen« Prinzip erhalten. Das wäre, was die Energie angeht, mehr als zwölfmal so viel, wie die 2019 in Baden-Württemberg zugebauten 17,3 MW. Der Windkraftausbau war 2019 bundes- und landesweit eingebrochen.
Laut Umweltministerium müssen bei Projekten im laufenden Verfahren die zwei Genehmigungsanträge zu einem zusammengeführt werden. Das sei eine formale Aufgabe. Das Prüfprozedere insgesamt, also die Anträge in der Sache, seien unberührt. Für die betroffenen Projekte bedeute das eine Zeitverzögerung und somit Kosten, sagte Majer. Das stelle die ohnehin angeschlagene Windenergiebranche im Südwesten vor große Probleme. Fertige Anlagen sind laut Verwaltungsgerichtshof durch die Bestandskraft geschützt und von der Entscheidung nicht betroffen.
Bene Müller sagte, er hoffe, dass die beanstandeten Genehmigungen noch »geheilt« werden können, sie also trotz des Formfehlers Gültigkeit erlangen. Sollte ein neues Verfahren nötig sein, könne das »zwei, vielleicht auch drei Jahre« dauern. »Dann sind das viele Hunderttausend Euro, die auf uns zukommen«, sagte er. Sollte der Schaden eintreten, könnte laut Müller versucht werden, Ansprüche beim Land geltend zu machen. »Auch das steht im Raum«, sagte er.
VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 17.12.2019, 10 S 823/19
Windenergieerlass Baden-Württemberg (gültig von 9.5.2012 bis 9.5.2019)