SIGMARINGEN. An diesem legendären Wahlabend war von der gewohnten Siegesgewissheit der CDU wenig zu spüren. Es ist Sonntag, der 26. September 2021, und die Anhänger des Abgeordneten Thomas Bareiß versammeln sich in einem gutbürgerlichen Gasthof auf dem Heuberg. Doch ans Essen denkt hier noch niemand. Die Rouladen und das dampfende Rotkraut warten. Bareiß lächelt routiniert und verkrampft. Zum weißen Hemd trägt er einen Janker, ohne dass es heimelig wirkt. Die Tische sind weiß eingedeckt mit gestärkten Servietten. Nervös sehen er und seine Frau Andrea dem Ergebnis entgegen, das demnächst auf eine Leinwand geworfen wird. Erst um 19.32 Uhr flackert das Ergebnis auf. Nun hat er die Gewissheit, dass er den Sitz im Bundestag halten kann – und schlagartig fliegt die Küchentür auf und die ersten CDU-Ortsvorsitzenden erhalten ihre Rouladen.
Fragwürdige Umfrage
Bareiß hatte allen Grund zur Sorge. Bis zuletzt schien Unmögliches möglich, nämlich dass er das Mandat in einem gewohnt schwarzen Wahlkreis an Herausforderer Johannes Kretschmann von den Grünen verlieren würde. Das lag weniger an den schlechten Werten für die CDU insgesamt und auch nicht am Aufwind, den die Grünen seit dem Frühjahr 2021 mit dem Duo Baerbock/Habeck spürten. Grund dafür war die Kampagne, die von Berlin aus gegen den Politiker aus Meßstetten gefahren wurde. Urheber ist der Berliner Verein Campact, der nach eigenen Angaben 2,4 Millionen unterstützende Mitglieder hat. Erklärtes Ziel von Campact war es, Bareiß zu verhindern. Dafür waren alle Argumente recht: Bareiß habe in seiner Funktion als Wirtschafts-Staatssekretär den wirksamen Klimaschutz verhindert: Er habe insgeheim gegen die ohnehin bescheidene Umweltagenda der CDU/SPD-Regierung gearbeitet. Und, noch gravierender, er habe das autoritäre Regime von Aserbaidschan hofiert; Bareiß hatte das asiatische Land tatsächlich mehrfach und auf höchste Einladung besucht. Was er heute bereut. Bei der Bundestagswahl werde es knapp werden für Thomas Bareiß – so lautete das Ergebnis einer Forsa-Umfrage, die Campact gezielt für den Wahlkreis 295 in Auftrag gegeben hatte. Die Umfrage sei repräsentativ, hieß es bei Campact, will sagen: seriös. Gemessen an den tatsächlichen Ergebnissen stimmt das nicht. Laut Umfrage würden sich der CDU-Mann und sein grüner Gegenkandidat »ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern«. Beide würden je-weils 31 Prozent erhalten, will Forsa/ Campact herausgefunden haben. Tatsächlich kam es anders: Bareiß erhielt gut 30 Prozent, Kretschmann 16,9 Prozent der Erststimmen. Die Umfrage lag so weit daneben, dass nicht nur die Kreis-CDU Manipulation witterte. Unschlüssige Wähler sollten auf die Seite des grünen Kandidaten getrieben werden. Campact hatte durch diese und andere Formen der Beeinflussung versucht, dem grünen Bewerber einen Sitz im Bundestag zu verschaffen und Bareiß zu verdrängen.
Kretschmann auf Distanz
Johannes Kretschmann hat sich von Campact noch am Wahlabend distanziert. Er hatte in der Kulturkneipe »Fabrikle« im Donautal die Niederlage eingestanden. Die Unterstützung durch Campact war ihm peinlich. Er hatte durch einen ehrlichen Wahlkampf dem CDU-Platzhirsch verdrängen wollen, nicht durch zwielichtige Tricks. Das andere Mandat im Wahlkreis hatte dann der SPD-Mann Mesarosch erhalten, den niemand auf dem Zettel hatte.
Die Wahl liegt mehr als zwei Jahre zurück, doch hatten die auch persönlichen Angriffe von Campact Thomas Ba-reiß offenbar schwer zugesetzt. Er wird sich auch im Nachhinein fragen: Warum gerade ich? Campact hatte gezielt einzelne Politiker ausgesucht und diese mithilfe von Social Media attackiert. Diese Form von Wahlkampf war im eher biederen Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen neu. Keiner der Bewerber wollte ihn damals, er war von außen gesteuert und oktroyiert. Thomas Bareiß hat diese neue Form der politischen Auseinandersetzung so zugesetzt, dass er noch zwei Jahre später von tiefen Wunden spricht und sich eine Auszeit genommen hat. (GEA)

