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Wenn das Auto plötzlich spricht

Zu viel Technik: Bei Fahrschulen werden Menschen vorstellig, die ihr eigenes Fahrzeug nicht verstehen

Ein Auto von Mercedes-Benz
So viel Technik: Ein Auto von Mercedes-Benz ist von innen zu sehen. Foto: Marijan Murat/Archivbild
So viel Technik: Ein Auto von Mercedes-Benz ist von innen zu sehen. Foto: Marijan Murat/Archivbild

STUTTGART. Der Autokäufer versteht nur noch Bahnhof. Aktiver Abstandsassistent, Verkehrszeichenerkennung, Parktronic, Smartphone-Integration mit Sprachbedienung oder Display mit mehreren Anzeigestilen. All das kann die neue Limousine, die sich der Mann Mitte 60 gerade geleistet hat. Nur: Er weiß nicht wie. »Ich wollte eigentlich nur ein Auto«, sagt er und schmunzelt. Früher habe es da ein Lenkrad, einen Schalthebel, drei Pedale und eine Handbremse gegeben. Viel mehr habe man nicht wissen müssen, um ein Auto zu bedienen.

Heutzutage sieht das aber völlig anders aus. Zwar gab es beim Abholen eine kurze Einweisung durch »einen sehr dynamischen jungen Herrn«, doch davon schwirrte dem Käufer schnell der Kopf. Als er sich alleine daran machte, seinen neuen Wagen zu verstehen, endete das mit einem Überraschungseffekt: »Nach dem Drücken einiger Knöpfe hat das Auto plötzlich mit mir gesprochen«, sagt der stolze Besitzer. In diesem Moment entscheidet er sich, zur Fahrschule zu gehen. »Obwohl ich seit über 40 Jahren den Führerschein habe«, ergänzt er.

Glaubt man Experten, ist das kein Einzelfall. Denn die schönste Technik nützt nichts, wenn sie die Anwender überfordert. Grundsätzlich bleiben dann zwei Möglichkeiten. Die erste: Man nutzt viele Funktionen einfach nicht. »Das verunsichert viele Fahrer aber, weil sie das Gefühl haben, ihr Auto nicht richtig zu beherrschen«, sagt der Besitzer einer Stuttgarter Fahrschule, der schon mehrere solcher Fälle erlebt hat. Außerdem bleiben dann viele nützliche Hilfen außen vor. Also kommen immer mehr Leute auf die zweite Möglichkeit: sich ihr eigenes Fahrzeug ausführlich erklären und vorführen zu lassen. Manche tun das mit Verwandten oder Freunden, eine steigende Zahl wendet sich dafür jedoch an Experten und nimmt Stunden in einer Fahrschule.

»Das ist noch kein Massenphänomen, aber ein eindeutiger Trend«, sagt Jochen Klima. Die Technik überfordere viele. »Manche tun sich schon schwer, ihr Navigationsgerät zu programmieren«, sagt der Vorsitzende des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg. Er selbst hat schon einer älteren Dame eine Fahrstunde gegeben, die zwar eine Einparkhilfe im Auto hatte, aber nicht wusste, wie man sie bedient. »Die war danach total glücklich, weil ihr das im Alltag natürlich hilft«, sagt Klima. Solche Beispiele gebe es viele, zumal sich manches nur in der Praxis ausprobieren lasse: »Man muss bei neuen Systemen schon mal erlebt haben, wie es sich anfühlt, wenn ein Auto zum Beispiel von alleine abbremst.«

Den Grund für die Verunsicherung sieht er auch bei manchen Verkäufern. "Da wird den Leuten von der Rückfahrkamera bis zum Abstandsregler alles verkauft. Danach gibt es aber nur eine minimale Einweisung. "Man lässt die Käufer oft völlig allein." Besonders kritisch sei das, weil gerade technisch hochgerüstete teure Fahrzeuge nicht selten von älteren Kunden gekauft würden. "Die haben dann allerhand nützliche Helfer im Auto, benützen sie aber nicht, weil sie sich mit der Bedienung schwertun", so Klima.

Den Weg zur Fahrschule finden die meisten Betroffenen auf zwei unterschiedlichen Wegen. Der eine Teil kommt von allein ganz gezielt mit dem Problem. Der zweite Teil kommt über Fahrsicherheitstrainings speziell für Ältere. Wenn den Lehrern dabei auffällt, dass es offenbar Defizite in der Kenntnis der Fahrzeugtechnik gibt, sprechen sie die Betroffenen auch mal direkt an. »Das ist oft ein Türöffner, um das Problem anzugehen«, weiß Klima. Beim ADAC Württemberg stellt man zudem fest, dass die Teilnehmerzahlen an Fahr-Fitness-Checks für Ältere steigen. Das bedeutet, dass nicht nur mehr Senioren ihre Fähigkeiten auffrischen, sondern die Lehrer auch mehr Möglichkeiten haben, Bedienprobleme zu erkennen. Damit es keine Überraschung mehr ist, wenn das Auto spricht. (GEA)