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Weißer Ring fordert schnellere Hilfe für Gewaltopfer

Sie werden geschlagen, getreten und gedemütigt. Opfer von körperlicher und seelischer Gewalt brauchen zeitnah Geld und Hilfe, um die Folgen dieser Taten zu mildern. Doch ihre Bedürfnisse haben bei Behörden keine Priorität, wie der Weiße Ring bemängelt.

Häusliche Gewalt
Die Arme eines Mannes (r) halten mit Gewalt die Arme einer Frau fest. Foto: Maurizio Gambarini/Archivbild
Die Arme eines Mannes (r) halten mit Gewalt die Arme einer Frau fest. Foto: Maurizio Gambarini/Archivbild

STUTTGART. Opfer von Gewalttaten müssen in Deutschland nach Auffassung des Weißen Rings viel zu lange auf Entschädigung warten. »Oft dauert das bis zu einem Jahr. Es könnten und sollten nicht länger als drei, vier Monate sein«, sagte Erwin Hetger, Mitglied im Bundesvorstand der Opferschutzorganisation, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Es bestehe sonst die Gefahr einer neuerlichen Traumatisierung.

Wenn komplexe Baugenehmigungen neun Monate dauerten, sei das nachvollziehbar. »Dass aber Opfer von akuter Gewalt wie vergewaltigte Frauen und missbrauchte Kinder hängengelassen werden, deren Fall von der Polizei bereits ausermittelt ist, finde ich einen Skandal.« Schnelle Hilfe sei am wirksamsten.

Die Kritik wendet sich gegen die zuständigen Behörden - im Südwesten sind das die Versorgungsämter in den Landkreisen und die Stadtkreise. Dringend gebraucht würden Mittel etwa für den Ersatz einer beschädigten Brille, eine Prothese, neue Möbel beim erzwungenen Wohnungswechsel oder eine Psychotherapie. Grund für unnötige Verzögerungen seien nicht die Finanzen, sondern die fehlende Wahrnehmung des Leids der Betroffenen. »Die Opferentschädigung führt ein Schattendasein in den Amtsstuben.«

Glücklicherweise habe der Bundesgesetzgeber reagiert und die Opferentschädigung neu geregelt. So sei seit kurzem eine Entschädigung auch für Opfer psychischer Gewalt möglich. »Das ist eine enorme Verbesserung, von der etwa traumatisierte Opfer von Stalking entscheidend profitieren«, sagte Hetger.

In Baden-Württemberg haben sich 2019 bis zu 150 Opfer mehr als 2018 an den Weißen Ring gewandt. »Da spielt weniger eine Zunahme der Fälle eine Rolle als eine bessere Aufklärung vor Ort durch Polizei und die 250 Ehrenamtlichen des Weißen Rings.« Allerdings seien die Gewaltverbrechen zum Teil gravierender als noch vor einigen Jahren. »Heute wird auf am Boden liegende Opfer nochmal drauf getreten«, sagte Hetger. In Heidelberg etwa hatte ein Mann 2018 einen vor ihm liegenden Kontrahenten mit wuchtigen Tritten auf Kopf und Gesicht beinahe getötet.

Für solche Fälle müsse es mehr Trauma-Ambulanzen geben. So könne Soforthilfe langfristigen Folgen vorbeugen, sagte der ehemalige Landespolizeipräsident. Die derzeitige Zahl von sechs Ambulanzen müsse in einem so großen Flächenland wie Baden-Württemberg verdoppelt werden. Die Länder seien durch das neue Gesetz zu einem flächendeckenden Ausbau verpflichtet.

Skeptisch sieht der Weiße Ring die neue Funktion eines Landesopferbeauftragten. »Er darf kein Feigenblatt für fehlende Unterstützung von Opfern sein und nur einmal im Jahr einen Bericht vorlegen«, sagte Hetger. Justizminister Guido Wolf (CDU) hatte vor kurzem angekündigt, eine zentrale Anlaufstelle für Opfer von Terroranschlägen und anderen Verbrechen zu schaffen. Der fürchterliche Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz in Berlin habe gezeigt, dass man in Deutschland besser auf Bedrohungen durch den Terrorismus eingestellt sein müsse.

Der Weiße Ring betreute im Südwesten 2019 bis zu 1700 Opfer. Die Hilfe reicht von einem einzigen Beratungstelefonat über mehrfache Begleitung bei Behördengängen bis zur monatelangen Suche nach einer passenden Therapie. Jedes zweite Opfer erhielt materielle Hilfe, der Gesamtbetrag lag bei 500 000 Euro.

Opfer können in Baden-Württemberg neben der Hilfe des Weißen Rings auch die der Opferschutzstiftung des Landes in Anspruch nehmen. Die 2011 wegen Lücken im Hilfesystem gegründete Stiftung wird mittlerweile über den Landeshaushalt finanziert, seit 2019 mit 800 000 Euro jährlich. Zuvor war es nur die Hälfte. Höchstfördersumme sind 10 000 Euro Schmerzensgeld, etwa wenn ein Angehöriger oder Partner getötet wurde. (dpa)

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