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Was steckt hinter dem Massenabbruch einer Klausur?

Der massenhafte Abbruch einer Prüfung an der Stuttgarter Universität Hohenheim gibt Rätsel auf. Steckt dahinter Prüfungsangst der Studierenden?

Universität Hohenheim
Das Schloss Hohenheim, das Teile der Universität Hohenheim beherbergt, ist ein Geländer zu sehen. Foto: Marijan Murat
Das Schloss Hohenheim, das Teile der Universität Hohenheim beherbergt, ist ein Geländer zu sehen. Foto: Marijan Murat

STUTTGART. 23. Mai 2018, 13.30 Uhr in der Stuttgarter Universität Hohenheim: Eine Klausur im Fach Finanzwissenschaften startet mit der Belehrung der rund 200 Teilnehmer durch die Aufsicht.

»Wer die Prüfung jetzt beginnt, erklärt sich dadurch prüfungsfähig.« Die Prüfung fängt an, aber peu à peu packen Studierende ihre sieben Sachen und verlassen die einstündige Prüfung. Am Ende sind es 48 angehende Wirtschaftswissenschaftler, die die Klausur ungeachtet der anfänglichen Ermahnung abbrechen und Atteste für vermeintliche Erkrankungen vorlegen. Sie stammen alle vom selben Arzt, der in Studentenkreisen als »Doc Holiday« bekannt ist. Er stellt nur zwei Diagnosen: Kopfschmerzen in Kombination mit Sehstörungen und Übelkeit und Erbrechen.

Normalerweise verzeichne die Uni ein oder zwei Prüfungsabbrecher pro Klausur, sagt Uni-Sprecher Florian Klebs. Ein »völliges Novum« sei der Prüfungsabbruch durch etwa ein Viertel der Klausurteilnehmer. Dass wirklich Erkrankungen dahinter stecken, hält die Uni für wenig glaubwürdig und forderte Stellungnahmen von den Abbrechern. Doch diese überzeugten in den meisten Fällen nicht.

Was war der Grund?

Aber was trieb die Studenten dazu, in der laufenden Klausur das Weite zu suchen? Prüfungsangst könne dahinter stecken, meint Uni-Sprecher Klebs. War die Furcht vor dem Scheitern größer als der Wunsch, die Arbeit endlich hinter sich zu bringen? Für den Studierendenberater des Heidelberger Studierendenwerkes, Volker Kreß, wäre dies nicht abwegig.

Denn Jahr für Jahr steigen bei ihm die Beratungen wegen Prüfungsangst. Der Psychologe registriert, dass Angst längst kein Tabu mehr für Studenten ist: »Die Sensibilität gegenüber diesem Thema hat unter den Studierenden zugenommen, sie suchen sich früher Hilfe und psychische Belastungen können offener thematisiert werden als noch vor 20 Jahren.«

Nach Erkenntnissen der Arbeitsgruppe Hochschulforschung der Universität Konstanz ist die »gefühlte Belastung aufgrund angeblich überzogener Leistungsanforderungen« an den Universitäten seit Beginn des Jahrtausends stark gestiegen. Nach der jüngsten Erhebung der Forscher kennt etwa die Hälfte der Studenten (Stand Wintersemester 2015/16) Prüfungsangst.

26 Prozent haben große Prüfungsangst

An Universitäten bezeichnen demnach 26 Prozent die Aussage »vor Prüfungen habe ich meistens Angst« als voll und ganz zutreffend. An Fachschulen sind es 23 Prozent. Für 29 (Uni) beziehungsweise 23 Prozent (FH) gilt die Aussage eher. An Universitäten haben 42 Prozent der Studierenden bereits einen Blackout während einer Prüfungssituation erlebt, an Fachhochschulen 44 Prozent.

Die Forscher machen die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge für die Ängste der Studenten mitverantwortlich. Es gebe vor allem mehr Prüfungen. Durch bevorstehende Tests fühlten sich 78 Prozent der Studenten an Universitäten belastet, 36 Prozent sehr stark. Gerade in den Wirtschaftswissenschaften empfanden Studenten die zahlreichen Prüfungstermine als problematisch.

Stress kein Grund für Rücktritt

Doch Stress ist aus Sicht der Uni Hohenheim kein Grund für den Rücktritt von einer Prüfung. Nur Krankheitssymptome, die spontan während der Prüfung auftreten wie etwa ein Anfall von Brechdurchfall, seien als Gründe für einen Abbruch einer Klausur möglich. »Symptome, die durch Nervosität und Prüfungsangst hervorgerufen wurden, sind ausdrücklich keine zulässigen Gründe«, betont die Universität.

Die Studenten, die - trotz möglicher Ängste - in Hohenheim bei der Stange blieben, haben jetzt einen Vorteil. Nachdem es Beschwerden wegen des Lärms der Prüfungsabbrecher gab, dürfen die Verbliebenen die Prüfung wiederholen - allerdings ohne Kenntnis ihrer Note in der bereits abgelegten Klausur. Hans-Peter Burghof, Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen, will die Störung der Konzentration der Verbliebenen bei der Bewertung ihrer Klausuren berücksichtigen. (dpa/lsw)