STUTTGART. Nach mehr als einem Jahr »Strategiedialog« wollen Regierung und Industrie die Zukunft der Autobranche im Land nun mit konkreten Projekten angehen. »Bei einem derart lang angelegten und komplexen Vorhaben wurde bisher vor allem in der Werkstatt geschraubt«, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Freitag nach einem Treffen mit Spitzenvertretern der Autoindustrie, aber auch von Zulieferern, Energieunternehmen und Gewerkschaften. »Wir bringen jetzt, um im Bild zu bleiben, die PS auch auf die Straße.«
Der »Strategiedialog Automobilwirtschaft BW« war im Mai 2017 ins Leben gerufen worden, um den Wandel in der für den Südwesten so wichtigen Branche gut über die Bühne zu bringen. Begleitet wurde das Treffen, an dem unter anderem die Chefs der Autobauer Daimler und Porsche, Dieter Zetsche und Oliver Blume, teilnahmen, von Protesten von Umweltschützern, die mehr Engagement für saubere Luft forderten.
Kretschmann sprach von einem neuen Zeitalter der Mobilität mit »Megathemen« wie Elektrifizierung und Digitalisierung, dem autonomen Fahren und Car-Sharing-Konzepten. Er habe gelernt, dass die Zukunft nicht nur emissions- und unfallfrei sein solle, sondern auch stressfrei. »Die neue Mobilität ist auch sexy«, sagte Kretschmann.
Zugleich verwies er darauf, dass der Wandel in der Branche eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, und appellierte mit Blick auf die Debatte um Diesel-Betrug, Nachrüstungen und Fahrverbote, nach vorn zu schauen. »Wir müssen mal ein Stück weg von der ewigen Diskussion um die Altlasten«, sagte der Ministerpräsident. Der Chef des weltgrößten Zulieferers Bosch, Volkmar Denner, sagte angesichts der »auch ideologisch geführten Debatte«, man müsse sich alle technologischen Pfade offenhalten - also auch die Verbrennungsmotoren.
Laut Kretschmann hat das Land Baden-Württemberg im Rahmen des Strategiedialogs bisher zwölf Pilotprojekte gestartet und investiert dafür insgesamt 20 Millionen Euro. So wurde gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Kraftstoffprojekt »reFuels - Kraftstoffe neu denken« ins Leben gerufen, das sich mit regenerativ erzeugten synthetischen Kraftstoffen beschäftigt. »Auch Verbrennungsmotoren können dann umweltfreundlich mit null Emission betrieben werden«, sagte Kretschmann.
Ab 2019 soll der Südwesten außerdem über eine flächendeckende Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge verfügen. Alle zehn Kilometer werde dann eine Elektro-Ladesäule, alle 20 Kilometer eine Schnellladesäule stehen, versprach Kretschmann. Und gleich zwei Forschungsprojekte seien zum Thema Batteriezelle geplant - so könne Baden-Württemberg doch noch zum Standort für die nächste Generation von Batteriezellen werden.
Das Geschäft ist bisher komplett in der Hand asiatischer Hersteller, was Kritiker mit Blick auf mögliche Abhängigkeiten in der Zukunft immer wieder bemängeln. Zuletzt hatte vor einiger Zeit Bosch entschieden, keine eigene Zellfertigung aufzubauen. Dafür errichtet nun der chinesische Hersteller CATL ein Werk in Thüringen.
Neben Technologie und Forschung stand auch das Thema Bildung auf der Agenda. »Die meisten Arbeitsplätze in der Autoindustrie werden 2025 anders aussehen als heute«, sagte Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Deshalb müsse nicht nur in Standorte und Zukunftsprodukte, sondern auch massiv in die Qualifizierung der Beschäftigten investiert werden.
Das betonte auch Kretschmann: »Die Arbeits- und Lebenswelt verändert sich rasant - das muss sich in den Bildungsangeboten widerspiegeln. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen egal welchen Alters im Privaten wie im Beruflichen nicht den Anschluss verlieren, wenn Mobilität sich zunehmend digital abspielt.«
Bei Umweltschützern stößt der Schulterschluss zwischen Politik und Industrie weiterhin auf Kritik. Am Rande des »Strategiedialogs« gab es verschiedene Aktionen. Greenpeace-Aktivisten etwa hängten am Stuttgarter Bahnhofsturm ein Banner mit der Aufschrift »Sauber werden!« an die Fassade und kombinierten den Mercedes-Stern auf dem Dach mit einem großen »N« und einer »2« zum Kürzel NO2 für den Schadstoff Stickstoffdioxid.
»Die deutsche Autoindustrie hat nur dann eine Zukunft, wenn sie schnell auf den rasanten Branchenwandel reagiert«, sagte ein Sprecher der Umweltorganisation. »Ihre Glaubwürdigkeit aber gewinnen Daimler und die anderen Konzerne nur zurück, wenn sie konsequent die Abgasprobleme lösen, die ihre schmutzigen Diesel Städten wie Stuttgart eingebrockt haben.« (dpa)