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Warum sind Baden-Württembergs Schüler so schlecht?

Die Pisa-Studie stellt deutschen Jugendlichen ein mieses Zeugnis aus. Woran das liegt und was dagegen hilft.

Keine Ahnung bei Pisa: Internationaler Leistungsvergleich offenbart große Wissenslücken bei deutschen Schülern.
Keine Ahnung bei Pisa: Internationaler Leistungsvergleich offenbart große Wissenslücken bei deutschen Schülern. Foto: Jens Büttner
Keine Ahnung bei Pisa: Internationaler Leistungsvergleich offenbart große Wissenslücken bei deutschen Schülern.
Foto: Jens Büttner

STUTTGART. Der Pisa-Schock sitzt: Bei der internationalen Leistungsstudie schneiden deutsche Schüler schlechter ab denn je. Lesen, Mathe, Naturwissenschaft: Überall kassieren sie miese Noten. Woran liegt das? Und was hilft dagegen? Der GEA hat nachgefragt im Land. Geantwortet haben Schüler und Eltern, Wissenschaftler und Lehrer, Politiker und Unternehmer. Die Meinungen zur Bildungspolitik könnten nicht weiter auseinander liegen: Während die Landesregierung sich ein gutes Zeugnis ausstellt, verdonnern alle anderen sie zum Nachsitzen.

Die Wissenschaftler

Die deutschen Schüler schneiden bei der aktuellen Pisa-Studie so schlecht ab wie noch nie. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler im Auftrag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Getestet werden drei Bereiche: Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft. Überall erzielen die Jugendlichen die niedrigsten Werte, die für Deutschland jemals gemessen wurden.

Damit steht die Bundesrepublik jedoch nicht allein da. In ganz Europa verschlechtert sich die durchschnittliche Leistung. Am besten fallen die Ergebnisse noch in Estland aus, zur Spitzengruppe zählt das Land aber auch nicht. Dort finden sich mit Japan, Südkorea und Singapur nur asiatische Staaten.

Pisa ist die größte internationale Vergleichsstudie zu schulischen Leistungen. Seit 2000 wird sie alle drei Jahre durchgeführt. An der jüngsten Erhebung im Jahr 2022 nehmen weltweit 80 Länder und 600.000 Jugendliche teil. Die für Deutschland repräsentative Stichprobe umfasst 13.000 15-Jährige in allen Schultypen.

Die Politiker

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fühlt sich durch die Pisa-Studie in seinem bildungspolitischen Kurs bestärkt. »Der Konsens in der Koalition, dass wir uns auf die frühkindliche Bildung fokussieren müssen, ist noch einmal bestätigt worden«, sagt der Grünen-Politiker. Die Schuld an den schlechten Ergebnissen sieht er nicht bei der Politik. Stattdessen nimmt er die Familien in die Pflicht: »Ob Eltern vorlesen, steht nicht in unserer Macht. Das ist aber sehr relevant.«

Kultusministerin Theresa Schopper dagegen äußert sich deutlich selbstkritischer. »Die Pisa-Studie muss uns zu denken geben«, räumt die grüne Landespolitikerin ein. »Deutschland ist bei der Digitalisierung hinterher«, kritisiert sie. Der Online-Unterricht in der Corona-Zeit habe darum schlecht funktioniert. »Das hat die Schere weiter aufgehen lassen zwischen Kindern, die zuhause unterstützt wurden, und Kindern, die sich zu dritt um ein Handy scharten.« Zugleich verweist die Ressortleiterin auf Fortschritte in Baden-Württemberg: »Die Pandemie war ein Online-Booster.« Dennoch könne das Land allein die Herausforderungen nicht meistern, betont die Ministerin. Vom Bund fordert sie daher einen »Digitalpakt«, sprich: Geld für digitale Infrastruktur und Qualifikation in Schulen.

Als weitere Baustelle nennt Schopper die frühkindliche Bildung. »Gerade die Kinder, die ohne Hilfe von Zuhause auskommen müssen, haben die größten Probleme in der Schule. Hier braucht es mehr Unterstützung, vor allem zu Beginn der Schulzeit.« Konkret geht es um Deutschkenntnisse bei zugewanderten Kindern. Diese seien die »Grundlage für schulischen Erfolg«, erklärt Schopper. Verbesserungen will sie erreichen durch »verstärktes Augenmerk auf die Sprachförderung an der Schwelle zwischen Kindergarten und Grundschule«.

Beim Kampf gegen Lehrermangel sieht Schopper sich auf einem gutem Weg: »Wir haben die Zahl der Studienplätze für Grundschule und Sonderpädagogik erhöht«, berichtet sie. Auch der Direkteinstieg und der Seiteneinstieg in den Lehrberuf seien inzwischen möglich.

Die Schüler

Der Landesschülerbeirat hält den Ausbau der digitalen Infrastruktur ebenfalls für wichtig, damit alle Schüler die gleichen Chancen bekommen. Vorsitzender Berat Gürbüz warnt aber: »Die Digitalisierung allein rettet das Schulsystem nicht.« Stattdessen hält er den Lehrermangel für das »Kernproblem«. Abhilfe schaffen können seiner Ansicht nach der Ausbau von Studienplätzen für Lehrberufe sowie die bessere Besoldung von Grundschullehrern. Außerdem fordert er den »Einsatz multiprofessioneller Teams«.

Die Eltern

Der Landeselternbeirat verortet das Problem beim Bildungssystem. »Deutschland hat sich geändert«, sagt Vorsitzender Sebastian Kölsch. »Aber die Schule hat sich nicht geändert.« Damit spielt er auf die starke Zuwanderung in den letzten Jahren an. Viele Grundschüler – so die Sorge – könnten nicht genug Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Damit fehle die Grundlage. »Die Sprachfähigkeit ist ausschlaggebend für den gesamten schulischen Erfolg«, erklärt Kölsch. Darum fordert er ein verpflichtendes Vorschuljahr. Wenn alle Kinder ein Jahr den Kindergarten besuchten, lernten sie im allgemeinen »Sprachbad« automatisch Deutsch.

Die Lehrer

»Der Bildungserfolg in Deutschland ist abhängig vom sozialen Status der Eltern«, kritisiert Monika Stein. Sie ist Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Außerdem sei Baden-Württemberg ein Einwanderungsland. »Bisher verschenken wir Chancen, Menschen, die zu uns kommen, zu qualifizieren«, mahnt Stein. Die Lösung sieht sie in Deutsch-Unterricht als Zweitsprache, dauerhaften Förderprogrammen und kleineren Grundschul-Klassen.

Dafür brauche es mehr Lehrer und hier liege das Problem, so Stein. Die GEW-Landesvorsitzende glaubt anders als Kultusministerin Schopper nicht an den versprochenen Stellenzuwachs. »Es macht mich ratlos und wütend, dass wir den Lehrermangel nicht auflösen können«, sagt Stein. »Unsere Landesregierung schafft nicht genug Studienplätze für Grundschule und Sonderpädagogik.«

Die Unternehmer

Auch die Arbeitgeber machen sich Sorgen um den Bildungsstandort Deutschland. »Die Schüler von heute sind die Auszubildenden und Beschäftigten von morgen«, erinnert Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. »Diese Köpfe sind der Baustoff unserer Zukunft und der Motor unseres Wohlstands.«

Darum verlangt Dulger einen »fast schon revolutionären Neuanfang im Bildungswesen«. »Wenn die Verantwortlichen jetzt nicht umgehend handeln, ist ein Kompetenzverlust nicht mehr aufzuholen.« Konkret empfiehlt Dulger die Digitalisierung der Schulen und die Stärkung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) sowie Ganztagsschulen und individuelle Förderung. (GEA)