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Volkshochschulen befürchten Mehrkosten für Kurs-Besucher

Von Yoga bei Schlafstörungen über smartes Surfen für ältere Menschen bis hin zu Sprachzertifikaten - das Angebot der Volkshochschulen ist breit. Sie sollen Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenbringen und weiterbilden. Doch der hehren Idee droht Ungemach aus Brüssel.

Volkshochschule
Ein Leuchtdisplay steht in den Räumlichkeiten der Volkshochschule Stuttgart. Foto: Marijan Murat/DPA
Ein Leuchtdisplay steht in den Räumlichkeiten der Volkshochschule Stuttgart.
Foto: Marijan Murat/DPA

Die Besucher von Volkshochschulen (VHS) im Südwesten müssen womöglich bald tiefer ins Portemonnaie greifen. Der Grund: Die Umsatzsteuerbefreiung für Weiterbildung wird durch EU-Recht infrage gestellt. »Wenn die Befreiung wegfällt, müssen die Teilnehmer 19 Prozent mehr für unsere Angebote zahlen«, sagte der Direktor des Volkshochschulverbands Baden-Württemberg, Tobias Diemer, der Deutschen Presse-Agentur. Geringverdiener, Studierende oder Rentner könnten sich die Kurse dann eventuell nicht mehr leisten.

Es könne nicht sein, dass Volkshochschulen mit Anbietern von Waren oder Dienstleistungen gleichgestellt würden, kritisierte Diemer anlässlich der VHS-Jahrestagung an diesem Freitag in Friedrichshafen am Bodensee. Weiterbildung sei ein Menschenrecht, das alle wahrnehmen können sollten, sagte er.

»Wir erfüllen wie öffentliche Schulen, Universitäten und Hochschulen das Kriterium der Gemeinwohlorientierung«, sagte Diemer. Folgerichtig seien die VHS-Kurse durch das deutsche Recht von der Umsatzsteuer befreit. Die Bundesregierung müsse sich dafür einsetzen, dass das so bleibe. Die landesweit 161 VHS seien zunehmend mit wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben und Themen befasst: vom Klimaschutz vor Ort, gesellschaftlichem Zusammenhalt über Integration von Menschen unterschiedlichster Kulturen bis hin zum Kampf gegen Analphabetismus.

Die Teilnehmer im Südwesten müssten mit über 50 Prozent schon den bundesweit höchsten Eigenanteil für die Kurse berappen. Die Kommunen würden 28,5 Prozent, das Land 9 Prozent beisteuern. Die restliche Finanzierung entfalle auf Projekt- und Drittmittel.

Die Landesförderung müsse erhöht werden, forderte Diemer, damit die Angebote für jeden zugänglich bleiben würden. Das Land stelle zwar den Trägern der allgemeinen Weiterbildung eine stufenweise Erhöhung der Landesförderung um 8 Millionen auf 36 Millionen Euro bis 2025 bereit. Der VHS-Verband habe aber ausgerechnet, dass wegen Inflation und Tarifsteigerung dieses Jahr noch 2,87 Millionen Euro benötigt würden.

Coronabedingt war die Kundenzahl von 2,24 Millionen im Jahr 2019 auf 1,22 Millionen 2020 und 900.000 im Jahr 2021 gesunken. Angebote wie Bewegungs-, Koch- und Ernährungskurse entfielen häufig. Im Jahr 2022 stieg die Zahl der Besucher wieder um 570.000 auf 1,47 Millionen - und nach ersten Berichten aus den VHS könnte sich der Wert in diesem Jahr wieder auf dem Vor-Corona-Niveau einpendeln. Trotz vieler während der Pandemie entwickelter digitaler und hybrider Kurse seien die Präsenzkurse weiterhin am beliebtesten, hieß es.

Verändertes Nutzerverhalten macht den VHS zu schaffen. Die Menschen würden kurzfristig buchbare Veranstaltungen bevorzugen, so Diemer. »Viele Leute wollen sich nicht mehr drei Monate oder drei Wochen vorher zu einem Kurs anmelden.« Immer größere Rollen würden zudem Ausstattung und Aufenthaltsqualität in den VHS und ihren 650 Außenstellen spielen.

Zufrieden zeigte sich der Verbandsdirektor mit dem Digitalpaket des Landes von 6,7 Millionen Euro für die Ausstattung mit elektronischen Tafeln (Smartboards), Beamern und Laptops für die Kursräume. Folglich seien alle VHS im Land in der Lage, digital gestützte Angebote in Präsenz sowie professionelle Online-Kurse anzubieten.

Eine besonders große Herausforderung sei die rapide angestiegene Zahl von Integrationskursen für Zuwanderer. Im vergangenen Jahr seien im Südwesten mehr als 2000 Integrationskurse für mehr als 37.000 Menschen aus dem Boden gestampft worden. Diemer appellierte an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der überbordenden Bürokratie - etwa bei der Abrechnung der Kostenerstattung - Einhalt zu gebieten. Sie halte die Mitarbeiter zunehmend von ihrer eigentlichen Aufgabe ab. Schwierig sei außerdem die Suche nach qualifizierten Kursleitern. Zudem würden teilweise Kursräume fehlen. »Das alles führt zu Wartelisten für die Zuwanderer von bis zu mehreren Monaten«, sagte Diemer.

Die VHS würden es als ihre Aufgabe ansehen, Fachkräfte zu gewinnen, erläuterte der Erziehungswissenschaftler. Es sei zusätzliches Personal in den Einrichtungen notwendig, um das Potenzial der Einwanderer auszuschöpfen. Benötigt würden Weiterbildungslotsen, die den Teilnehmern der Integrationskurse helfen, entweder direkt oder über Aus- und Weiterbildung in den Arbeitsmarkt zu finden.

VHS-Landesverband

© dpa-infocom, dpa:230623-99-157322/2