Logo
Aktuell Land

Viele Fragen nach Raser-Prozess offen

Mitten in Heilbronn tritt ein junger Autofahrer aufs Gaspedal und rast über die Straße. Es kommt zum tödlichen Crash. Aber war es fahrlässig oder vielleicht sogar Mord?

Landgericht Heilbronn
Ein Schild mit der Aufschrift »Landgericht Heilbronn« steht vor dem Gerichtsgebäude. Foto: Bernd Weißbrod/DPA
Ein Schild mit der Aufschrift »Landgericht Heilbronn« steht vor dem Gerichtsgebäude.
Foto: Bernd Weißbrod/DPA

Seit sieben Monaten kommen Richter und Staatsanwältin, Verteidiger und Nebenkläger, ungezählte Zeugen und ein angeklagter junger Mann regelmäßig im Landgericht zusammen. Sieben Monate beraten sie und streiten sich, es wird gefragt und diskutiert, abgewiegelt, beantragt und erklärt. Und doch bleibt kurz vor dem Ende der Beweisaufnahme im sogenannten Heilbronner Raserprozess das Gefühl zurück, als sei die wesentliche Frage so unbeantwortet wie zu Beginn. War es Mord? Oder Totschlag? Oder hat sich der 21-Jährige am Steuer der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht, als er im Februar vergangenen Jahres mitten in der Stadt zu schnell fuhr und einen fatalen Unfall verursachte?

Denn dass ihr Mandant damals am Steuer des Sportwagens saß, das stellt auch seine Anwältin Anke Stiefel-Bechdolf nicht infrage. Er hatte, daran zweifelt eigentlich niemand, so stark auf das Gaspedal getreten, dass er die Kontrolle über seinen 300 PS starken Sportwagen verlor. In der Tempo-40-Zone raste er mit rund 100 Stundenkilometern in das Auto eines 42-Jährigen, als dieser mit seiner Familie aus einer Ausfahrt fahren wollte. Der Mann starb in den Trümmern seines Wagens, seine Frau wurde schwer, die beiden Kinder leicht verletzt. Auch der Angeklagte und seine Beifahrerin erlitten leichte Verletzungen.

Unterschiedliche Einschätzungen

Verteidigung und Staatsanwältin werden allerdings die Momente vor dem schweren Aufprall in der Wollhausstraße unterschiedlich bewerten, wenn sie möglicherweise am Montag (9.00 Uhr) nach den letzten Beweisanträgen mit ihren Plädoyers beginnen. Wann dann ein Urteil verkündet werden kann, ist noch unklar.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hat der junge Mann das Risiko bewusst akzeptiert und die Gefahr »billigend in Kauf« genommen, er sei »bar jeder Kontrolle« unterwegs gewesen. Andere seien ihm »völlig gleichgültig« gewesen. Die Staatsanwältin wirft ihm unter anderem Totschlag und dreifachen versuchten Totschlag vor. Denn der 21-Jährige hätte vorgewarnt sein müssen, sagte die Anklägerin im Prozess. Schon kurz vor dem Crash soll der Türke fast eine Fußgängerin an einem Zebrastreifen überfahren haben. Die Verteidigung dürfte hingegen auf fahrlässige Tötung plädieren.

Möglich wäre aber auch eine noch härtere Strafe. Denn die Große Jugendkammer prüft, ob in diesem Fall auch ein Mordvorwurf infrage kommen könnte. Als mögliches Mordmerkmal komme die Heimtücke infrage, hatte der Richter erklärt.

Umstritten ist auch weiterhin, ob der Angeklagte nach Jugendstrafrecht verurteilt werden sollte, weil er zum Zeitpunkt des Unfalls erst 20 Jahre alt war und damit als Heranwachsender gilt. Im Prozess hatten der psychiatrische Sachverständige und die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe ihn zudem als entwicklungsverzögert eingestuft - sehr zum Ärger der Anwälte der Nebenkläger. Der bei der Polizei als Temposünder bekannte Angeklagte hatte sich im Prozessverlauf nicht geäußert.

Es gibt auch Rennen mit nur einem Auto

Illegale Autorennen gelten bereits seit Oktober 2017 als Straftat. Seitdem kann schon die Teilnahme mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Strafbar ist allerdings auch ein »Rennen gegen sich selbst«.

Eine juristische Premiere ist der Heilbronner Fall keineswegs mehr. In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Mordanklagen nach Rasereien oder illegalen Autorennen gegeben. Besonders bekannt wurde der Fall zweier Männer, die sich 2016 auf dem Berliner Ku'damm ein Rennen geliefert hatten, bei dem ein unbeteiligter Rentner starb. Hier wurde ein Fahrer wegen Mordes und der zweite Raser wegen versuchten Mordes verurteilt.

Auf Mord aus Heimtücke entschied auch ein Wiesbadener Gericht im vergangenen Dezember, als es einen 25 Jahre alten Autoraser nach einem tödlichen Unfall zu lebenslanger Haft verurteilte. Er war im Oktober 2022 wegen des »Kicks« mit einem hochmotorisierten Auto mit Tempo 130 über rote Ampeln in der Wiesbadener Innenstadt gerast und auf einer Kreuzung mit einem anderen Auto zusammengestoßen. Das Urteil ist bisher nicht rechtskräftig.

Allerdings kam es bei Raser-Mordprozessen längst nicht immer zu entsprechenden Verurteilungen. So sorgte ein Prozess in Stuttgart vor fünf Jahren für Schlagzeilen: Ein damals 21-Jähriger hatte bei hoher Geschwindigkeit die Kontrolle über einen gemieteten Sportwagen verloren und einen Kleinwagen gerammt, in dessen Trümmern zwei Menschen starben. Angeklagt war der junge Mann wegen Mordes, verurteilt wurde er zu fünf Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags.

Es bleibt stets die Frage, ob dem Angeklagten ein Tötungsvorsatz und Mordmotiv nachgewiesen werden kann. Selbst ein Autorennen mit Todesfolge ist also nicht immer gleich als Mord anzusehen.

© dpa-infocom, dpa:240317-99-371937/3