Das große Rad dreht sich dieser Tage vor allem auf dem Platz vor dem Neuen Schloss. Im Stuttgarter Prunkbau hinter dem Riesenrad und unter den vier großen Kronleuchtern des Versammlungssaales schien beim »Flüchtlingsgipfel« am Mittwoch vor allem die Symbolik wichtig. Unter dem Druck steigender Flüchtlingszahlen demonstrierten Land und Kommunen sowie die wichtigsten Verbände nach ihrem mehrstündigen Treffen die erwartete und geforderte Geschlossenheit und verständigten sich auf einen Schulterschluss.
Weitreichende neue Ergebnisse über weiter Kapazitäten in den Städten und Gemeinden, über neue Angebote in Kitas und Schulen oder zusätzliche finanzielle Mittel vereinbarten die rund 40 Teilnehmer nicht. Das war auch im Vorfeld nicht erwartet worden.
Die Kraftanstrengung bei der Flüchtlingsfrage sei »in einer großen Verantwortungsgemeinschaft entschlossen angenommen« worden, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach dem »Gipfel«. Das Land lasse die Kommunen nicht im Regen stehen. Ähnlich liest es sich in einer Erklärung zum Treffen, in der die Teilnehmer betonen, die Unterbringung, Versorgung und Integration der Geflüchteten sei »eine enorme gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung«. Außerdem appellieren sie an die Menschen in Baden-Württemberg, sie dabei zu unterstützen.
Aus Sicht des Präsidenten und Hauptgeschäftsführers des Gemeindetags Baden-Württemberg, Steffen Jäger, sind sich Kommunen, Land und Verbände einig gewesen, dass »mutmaßlich auch Entscheidungen zu treffen sein werden, die unser aller Lebenswelt tangieren«. Die Zahl der Notunterkünfte nehme zu, der Bedarf an Kita-Plätzen und schulischer Bildung und Betreuung werde nochmals steigen. »Das wird mit Erschwernissen und gegebenenfalls auch mit gefühlten Ungerechtigkeiten verbunden sein«, sagte Jäger nach dem Gespräch. »Und wir müssen deutlich machen, dass sich Zielerfüllungen am Machbaren orientieren müssen und nicht an Wünschenswertem. Das Machbare gerät an seine Grenzen.« Auf vielen Feldern müssten Standards flexibler werden, sagte Jäger der dpa.
Vor allem die Kommunen hatten immer wieder gewarnt, die Aufnahmekapazitäten des Landes, der Städte und Gemeinden seien weitgehend erschöpft - und eine Abnahme der Flüchtlingszahlen nicht in Sicht. Nach Angaben des Migrationsministeriums sind bislang rund 170.000 Geflüchtete und Migranten im Südwesten angekommen, 142.000 von ihnen aus der Ukraine. Die Zahl der Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes ist seit den ersten Schüssen an der russisch-ukrainischen Grenze Ende Februar von rund 6000 auf derzeit mehr als 13 500 ausgebaut worden. In der vorläufigen Unterbringung finden derzeit rund 55.000 Menschen Platz.
Auch Migrations- und Justizministerin Marion Gentges (CDU) rechnet mit weiteren Menschen aus dem von Russland angegriffenen Land: »Die Infrastruktur in der Ukraine wird systematisch niedergebombt, so dass wir für den Fall vorbereitet sein müssen, dass noch einmal mehr Menschen fliehen müssen«, sagte sie. Landesgebäude und -flächen könnten mietzinsfrei von den Kommunen und Kreisen genutzt werden, um Flüchtlinge unterzubringen.
Bereits vor zwei Wochen hatten sich Land und Kommunen über die Verteilung der Kosten für Geflüchtete geeinigt, also für deren Unterbringung und die in diesem und im kommenden Jahr.
Die Kommunen hatten vor dem Treffen auch ein klares Zeichen der grün-schwarzen Regierung an die Ampelkoalition in Berlin gefordert, damit Geflüchtete ausgewogen in der Europäischen Union verteilt würden. In der Erklärung sagte die Landesregierung zu, sich »auf europäischer Ebene konsequenter für eine solidarische und gerechte Verteilung der Geflüchteten innerhalb der Europäischen Union einzusetzen«. Nach der Massenzustromrichtlinie der EU sei eine faire Verteilung der Schutzsuchenden aus der Ukraine innerhalb Europas gemeinsames Ziel der Mitgliedstaaten, sagte Gentges. »Es kann daher nicht sein, dass nur wenige Staaten die Hauptlast tragen, wenn andere Staaten mehr leisten könnten.«
Enttäuscht vom Treffen zeigte sich FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. »Ich hätte mir mehr konkrete Ergebnisse gewünscht«, sagte er. »Die Erklärung enthält viel Lyrik, dafür wenig Konkretes.« Natürlich sei es richtig, ein Signal des Zusammenhalts zu setzen. »Aber schwammige Absichtserklärungen führen uns nicht aus der Krise.« Dagegen sprach der CDU-Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel von einem ersten richtigen Schritt. »Es darf nicht der letzte bleiben«, sagte er weiter.
Aus Sicht der Wirtschaftsverbände ist es vor allem notwendig, Geflüchtete zu Fachkräften auszubilden. »Das Land muss aber die richtigen Rahmenbedingungen setzen und diesen Übergang gestalten«, forderten Christian O. Erbe, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK), und der Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT), Rainer Reichhold. Ausländerbehörden müssten besser ausgestattet werden, die Abläufe der beteiligten Behörden zudem zügiger, reibungsloser und auch digitaler funktionieren. »Möglicherweise braucht es eine Bündelung von Kompetenzen der Ausländerbehörden mit klaren Zuständigkeiten für Zuwanderungswillige genauso wie für Geflüchtete, die bis hin zur Einrichtung einer zentralen Behörde reicht«, sagten die beiden Verbandschefs.
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