Stuttgart (dpa/lsw) - Wie viel direkte Demokratie ist im Südwesten möglich, wenn damit hohe Kosten für den Staat entstehen? Diese grundsätzliche Frage schwingt mit, wenn das Landesverfassungsgericht Ende März über ein Volksbegehren zur Abschaffung von Kita-Gebühren entscheidet. Die oppositionelle SPD hatte das Volksbegehren geplant, aber das Innenministerium lehnte den Antrag dazu ab. Am Montag tauschten beide Seiten ihre Argumente vor Gericht in Stuttgart aus.
SPD-Landes- und Landtagsfraktionschef Andreas Stoch argumentierte, es sei ungerecht, wenn Eltern in manchen Kommunen Gebühren für die Betreuung ihrer Kinder zahlen müssten und in anderen nicht. Einkommensschwache Familien würden überproportional belastet, selbst wenn die Gebühren sozial gestaffelt seien. Die SPD geht davon aus, dass mit dem Wegfall der Gebühren Kosten von jährlich etwa 529 Millionen Euro entstehen, für die dann der Staat aufkommen muss.
Der Anwalt des Innenministeriums, Winfried Porsch, hielt dagegen: Das Volksbegehren sei nicht zuzulassen, weil es im Erfolgsfall den Landesetat wesentlich belasten würde. Denn bei einem Wegfall der Kita-Gebühren müsste das Land einen Betrag aufbringen, der deutlich mehr als 0,5 bis 0,7 Prozent des Haushaltsvolumens betrage. Bei kleineren finanziellen Beträgen hält das Ministerium Volksbegehren für zulässig. Das Ministerium bezieht sich bei diesen Marken auf Verfassungen und Gerichtsentscheidungen aus anderen Bundesländern - für Baden-Württemberg gibt es noch keine Rechtsprechung.
Vor Gericht drehte sich viel um die Frage, wie die entsprechende Passage in der baden-württembergischen Landesverfassung auszulegen ist. Darin heißt es: »Über Abgabengesetze, Besoldungsgesetze und das Staatshaushaltsgesetz findet keine Volksabstimmung statt.« Die Frage ist, ob die Gesetzesänderung, die das Volksbegehren anstrebt, unter diese Passage fällt. Zudem hatten die Richter viele Fragen: Wie soll etwa der Betrag errechnet werden, den ein Kita-Träger vom Staat erhält, wenn die Eltern keine Gebühren mehr zahlen müssen?
SPD-Politiker Stoch und Anwalt Joachim Wieland erklärten, dass es beim Volksbegehren nur um die grundsätzliche Entscheidung gehe, den Kita-Besuch gebührenfrei zu machen. Die konkrete Ausgestaltung des finanziellen Ausgleichs sei Verhandlungssache zwischen dem Land und den Kommunen. Der Anwalt der Gegenseite, Porsch, kritisierte, wesentliche Dinge seien im vorgesehenen Gesetzentwurf nicht geregelt. Sollte er in dieser Form durchgehen, gäbe es einen »knallharten Rechtsanspruch« der Kita-Träger gegenüber dem Land auf finanzielle Erstattung. Das Land habe dann wenig Spielraum.
Das Gericht will nach Angaben des Vorsitzenden Richters Malte Graßhof am 30. März eine Entscheidung verkünden. Man werde nach juristischen Kriterien entscheiden. Für den Landesvorsitzenden des Vereins Mehr Demokratie, Edgar Wunder, ist das faktisch aber auch eine politische Entscheidung: Verfassungstexte ließen sich unterschiedlich auslegen. Wunder sagte: »Bleibt man beim Wortlaut der Landesverfassung, wäre das Kita-Volksbegehren zulässig.« Interpretiere man über den Wortlaut der Verfassung hinaus, könne es auch für unzulässig erklärt werden.
Eltern müssen in Baden-Württemberg für den Kita-Besuch ihrer Kinder Gebühren zahlen, die in den Kommunen unterschiedlich hoch sind. Über ein Volksbegehren, das am Ende in eine Volksabstimmung münden könnte, will die SPD die Gebühren abschaffen. Die grün-schwarze Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) lehnt eine generelle Gebührenfreiheit ab mit der Begründung, dass das für das Land zu teuer sei.
»Ich bin guten Mutes nach der Verhandlung«, sagte Stoch. Er traue sich aber keine Prognose zu, wie das Gericht entscheiden werde. Es gehe um komplexe juristische Fragen.
Landtag zum Thema Volksbegehrung
Landeszentrale für politische Bildung zu Volksbegehren
Landesregierung zum Thema Volksbegehren
Pressemitteilung des Ministeriums zur Ablehnung des SPD-Antrags