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Urzeit-»Nessies«: Wegen langen Hälse leichte Beute

Manche Urzeitreptilien hatten extrem lange Hälse: Die mögen Vorteile geboten haben, sie hatten aber auch einen gravierenden, oft fatalen Nachteil, wie Stuttgarter Wissenschaftler herausgefunden haben.

"Urzeit-"Nessies" wegen langer Hälse leichte Beute
Eudald Mujal (l) und Stephan Spiekman vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart stehen vor einer Schublade mit Knochen von Dinosauriern. Foto: Liliana Reinöhl
Eudald Mujal (l) und Stephan Spiekman vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart stehen vor einer Schublade mit Knochen von Dinosauriern.
Foto: Liliana Reinöhl

Vor mehr als 200 Millionen Jahren hatten bestimmte im Wasser lebende Meeresreptilien extrem verlängerte Hälse. Die halfen den Vertretern der Gruppe Tanystropheus einerseits bei der Beutesuche. Andererseits vermuten Fachleute schon lange, dass der lange grazile Hals Fressfeinden ein perfektes Angriffsziel bot. Nun stellen Stuttgarter Forscher im Fachblatt »Current Biology« zwei Funde vor, die dies erstmals eindeutig belegen.

»Unser wichtigstes Forschungsergebnis ist der direkte Nachweis der Enthauptung von ausgestorbenen langhalsigen Meeresreptilien durch Raubtiere«, sagte einer der beiden, Stephan Spiekmann, am Montag. Bei den beiden untersuchten Exemplaren sei der Hals vollständig abgetrennt gewesen, es gebe auch Bissspuren. »Der verlängerte Hals war tatsächlich eine funktionelle Schwachstelle der Tiere«, sagte er.

Spiekman und Eudald Mujal vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart stellen in ihrem Artikel zwei Individuen verschiedener Tanystropheus-Arten vor, die vor mehr als 200 Millionen Jahren lebten: der bis zu sechs Meter große T. hydroides und der etwa 1,5 Meter lange T. longobardicus. Trotz des Größenunterschieds hatten beide Arten, die wohl überwiegend im Wasser lebten und an das Aussehen von See-Gende »Nessie« erinnern, 13 extrem verlängerte Halswirbel. Bei den Fossilien der Tiere, die aus dem Paläontologischen Museum der Universität Zürich stammen, enden die extrem gut konservierten Hälse abrupt. »Nur Hals und Kopf sind erhalten«, wird Mujal in einer Mitteilung der Zeitschrift zitiert.

Gerade der Halsbereich des siebten bis zehnten Wirbel sei die verwundbarste Stelle dieser Reptilien, schreiben die Autoren. »Diese Region bot Räubern wahrscheinlich ein optimales Ziel, denn sie ist weit weg vom Kopf und noch vor dem dickeren und muskulöseren Nacken«, heißt es.

Der gute Zustand von Hals und Kopf zeigt demnach, dass die Angreifer in beiden Fällen diese Körperteile verschmähten und sich wohl an den fleischigeren Rumpf ihrer Beute hielten. Bei dem größeren Opfer lässt die Bissstelle mit 1,5 Zentimeter Abstand zwischen den Zähnen sogar Rückschlüsse auf den möglichen Angreifer zu: Dabei könne es sich um die Raubechse Nothosaurus giganteus handeln, um den Fischsaurier Cymbospondylus buchseri oder um den kleineren Helveticosaurus zollingeri. In all diesen Fällen hätte der Angriff im Wasser stattgefunden.

Um sich vor solchen Angreifern zu schützen, so das Autorenduo, habe sich Tanystropheus wohl in flachen Gewässern mit schlechter Sicht am Grund aufgehalten und dort auf Beute gelauert - je nach Größe waren dies Krabben, Tintenfische und Fische. Vertreter dieser Gruppe hätten mindestens 10 Millionen Jahre lang kam in Europa, dem Nahen Osten, China, Nordamerika und möglicherweise auch in Südamerika gelebt und seien somit recht erfolgreich gewesen, trotz ihrer Verwundbarkeit. »Unsere Forschung zeigt, dass die Evolution im weitesten Sinne ein Spiel mit Kompromissen ist. Der Vorteil eines langen Halses scheint jedoch das Risiko, von einem Raubtier angegriffen zu werden, aufgewogen zu haben«, sagte Spiekman.

Studie

© dpa-infocom, dpa:230619-99-111606/3