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Urteil im Prozess gegen »Waldläufer von Oppenau« erwartet

Yves R. floh im Sommer 2020 mit vier gestohlenen Polizeiwaffen in den Schwarzwald und löste einen riesigen Polizeieinsatz aus. Nun soll ein Urteil gegen ihn fallen. Wie hoch die Strafe ausfällt, wird spannend - denn Verteidigung und Anklage werten den Fall völlig unterschiedlich.

OFFEBURG. Das Szenario birgt riesiges Eskalationspotenzial: Ein Mann bedroht in einer Gartenhütte vier Polizisten mit einer täuschend echt aussehenden Schreckschusspistole. Er nimmt ihnen ihre Dienstwaffen ab und verschwindet damit im Schwarzwald - tagelang. Im Sommer 2020 weiß zunächst niemand, wie gefährlich der Mann ist, der schnell als »Waldläufer von Oppenau« bekannt wird und der in der Hütte ein ganzes Arsenal an Waffen hortete: Pfeile, Messer, Patronen.

Die Polizei fährt großes Geschütz auf: Hunderte Beamte sind rund um das Schwarzwald-Städtchen Oppenau im Einsatz, dazu Spezialkräfte, Hunde und Hubschrauber mit Wärmebildkameras. Doch am Ende geht die Sache glimpflich aus, der Flüchtige wird ganz in der Nähe festgenommen. Die Bilanz: ein verletzter SEK-Beamter und eine düpierte Polizei.

In dem Fall, der Deutschland in Atem hielt, soll an diesem Freitag (14.00 Uhr) vor dem Offenburger Landgericht ein Urteil fallen. Die Staatsanwaltschaft hat für den heute 32 Jahre alten Yves R. drei Jahre und neun Monate Haft gefordert - unter anderem wegen eines minderschweren Falls von Geiselnahme. Die Verteidigung hält eine Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren für angemessen und sieht den Tatvorwurf der Geiselnahme gar nicht erfüllt.

In dem Verfahren hat der mehrfach vorbestrafte Angeklagte ein Geständnis abgelegt. Als die vier Polizisten ihn in einer illegal von ihm bewohnten Gartenhütte kontrolliert hätten, habe er Angst bekommen, wieder in Haft zu müssen. Auch deshalb sei die Situation eskaliert. Mit den gestohlenen Waffen habe er niemanden verletzen wollen - er habe nur verhindern wollen, dass die Polizisten sie auf ihn richten könnten.

Yves R. beschrieb sich als einen von der Gesellschaft enttäuschten Mann, der sein Glück in der Natur gesucht habe. Seit dem Frühjahr 2020 habe er im Wald gelebt, habe unter anderem von Beeren, Wurzeln und Blättern gelebt und wollte sich nach eigener Aussage auf eine Wanderung quer durch Deutschland vorbereiten. Eine Zwischenstation sei die Hütte gewesen. Dass er bei seiner Festnahme einen SEK-Beamten mit einem Beil am Fuß verletzt habe, tue ihm leid.

Im Internet bildeten sich Fangruppen für Yves R., es wurden T-Shirts bedruckt mit der Aufschrift »Justice 4 Yves« (»Gerechtigkeit für Yves«). Doch gänzlich harmlos scheint R. nicht zu sein. Er hat diverse Vorstrafen wegen Verstößen gegen das Waffengesetz angesammelt und saß bereits wegen gefährlicher Körperverletzung für dreieinhalb Jahre im Gefängnis.

Ein Gutachter attestierte ihm eine kombinierte Persönlichkeitsstörung bei hoher Intelligenz. R. habe Probleme, Empathie zu empfinden, sei introvertiert und stur. Der Kern seiner Persönlichkeit sei gekennzeichnet durch Selbstunsicherheit und fehlendes Urvertrauen. Grundsätzlich schuldunfähig sei er nicht - nur für die Festnahmesituation, als der Flüchtige dehydriert und übernächtigt von einem Taser getroffen wurde, bescheinigte der Psychiater dem Angeklagten eine verminderte Schuldfähigkeit.

Wer noch die Bilder des massiven Polizeieinsatzes im Kopf hat, der könnte von einer hohen Haftstrafe ausgehen. Doch die Staatsanwältin Raffaela Sinz sagte in ihrem Plädoyer, entscheidend bei der Bewertung des Falls sei nicht die medienwirksame Fahndung. »Entscheidend ist, was sich tatsächlich zugetragen hat.« (dpa)

Mitteilung der Staatsanwaltschaft