Es ist einer dieser Tage, an dem sich die Ereignisse überschlagen: Der Landtag wird die Affäre um Innenminister Thomas Strobl (CDU) und ein von ihm durchgestochenes Anwaltsschreiben in einem Untersuchungsausschuss aufarbeiten. Das haben die Fraktionen von SPD und FDP am Dienstag beschlossen - die Regierungsfraktionen können die Einsetzung des Ausschusses trotz Mehrheit nicht verhindern. Der Ausschuss soll auch die Beförderungspraxis und das Thema sexuelle Belästigung bei der Polizei unter die Lupe nehmen. Grüne und CDU sagten bereits zu, sich an der Aufklärung beteiligen zu wollen. Das Thema dürfte bereits am Mittwoch im Landtag debattiert werden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann bezeichnet die Affäre um Strobl am Dienstag als »politische Belastung«.
Der CDU-Minister hat sich indes prominente Schützenhilfe geholt und seinerseits ein Gutachten beim bekannten Medienanwalt Christian Schertz in Auftrag gegeben. Der kann strafrechtlich keinerlei Fehlverhalten von Strobl feststellen. Er spricht gar von einer »absurden Skandalisierung des Verhaltens von Strobl«. Die Opposition spricht von einem »Gefälligkeitsgutachten«.
Vize-Regierungschef Strobl steht massiv unter Druck, weil er ein Schreiben des Anwalts eines ranghohen Polizisten an einen Journalisten weitergeleitet hatte. Gegen den Beamten wird wegen sexueller Belästigung ermittelt, er ist vom Dienst suspendiert. In dem Schreiben bot der Anwalt des Polizisten der Hausspitze ein persönliches Gespräch mit dem beschuldigten Beamten an. Strobl sah darin ein »vergiftetes Angebot«. Er habe mit der Weitergabe des Schreibens an einen Journalisten für »maximale Transparenz« sorgen und verhindern wollen, dass die andere Seite das Schreiben lanciert und der Vorwurf der Mauschelei aufkommt.
Die Opposition hält Strobl vor, mit der Weitergabe mehrere Gesetze gebrochen zu haben - und fordert seit Wochen die Entlassung des Vize-Regierungschefs. Nachdem Strobl Anfang Mai die Weitergabe des Schreibens eingeräumt hatte, leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts verbotener Mitteilung über Gerichtsverhandlungen ein. Auch der oberste Datenschützer im Land, Stefan Brink, hat ein Verfahren eröffnet - Strobl hat laut einem Prüfverfahren Brinks mit der Weitergabe des Schreibens gegen das Gesetz verstoßen. Nun soll also der Landtag die ganze Affäre in einem Untersuchungsausschuss aufarbeiten. Die AfD-Fraktion teilte am Dienstag mit, den Untersuchungsausschuss unterstützen zu wollen.
Untersuchungsausschüsse gelten als schärfstes Mittel des Parlaments zur Kontrolle der Regierung. Auch kleine Fraktionen der Opposition dürfen damit mögliche Missstände oder Affären genau unter die Lupe nehmen. Der Ausschuss kann bei Behörden Akten anfordern, Auskünfte einholen und bei Gericht Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen erwirken. Zeugen und Sachverständige müssen erscheinen, falsche Aussagen sind strafbar. Die Regierungsfraktionen können die Einsetzung nicht blockieren, können aber etwa den Titel ablehnen. Es ist fraglich, ob sie den von FDP und SPD vorgeschlagenen Titel »Machtmissbrauch« mittragen werden.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke bezeichnete den U-Ausschuss als unausweichlich. Im Innenausschuss seien bislang Auskünfte verweigert, Akten geschwärzt worden. »Es wurde vernebelt«, sagte Rülke. Der Untersuchungsausschuss müsse Druck ausüben, damit die Gewaltenteilung wieder funktioniere und die Judikative ihre Arbeit machen könne. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sagte, dass der Untersuchungsausschuss sich wohl bis ins nächste Jahr hinziehen werde. Man werde sehen, ob man noch vor der Sommerpause die ersten Zeugen befragen könne. Rülke sagte, er würde »unter gar keinen Umständen« ausschließen, den Ministerpräsidenten selbst als Zeugen zu laden.
Grüne und CDU wollen sich nach eigenen Angaben an der Aufklärung beteiligen. »Natürlich wird sich auch unsere Fraktion an einer fairen und transparenten Aufarbeitung der Vorkommnisse beteiligen und in einem Untersuchungsausschuss einen Beitrag zur Aufklärung leisten«, teilte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Daniel Lede Abal, mit. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Deuschle, sagte, man werde den Ausschuss »unaufgeregt, gelassen und natürlich konstruktiv« angehen.
Man respektiere das Recht der Opposition, einen Ausschuss einzusetzen, sagte Deuschle. Klar sei aber auch, dass ein Untersuchungsausschuss ein wichtiges Instrument der seriösen Aufklärung sei und nicht der »billigen Effekthascherei«. »Wie auch immer der konkrete Gegenstand des Untersuchungsausschusses lautet: Wir werden die Thematik sauber aufklären und uns dabei aber nicht von der Hysterie und dem oppositionellen Marktgeschrei von SPD und FDP anstecken lassen.«
Medienanwalt Schertz, privat in der Sache engagiert von Strobl, stärkt indes seinem Auftraggeber den Rücken. »Ein irgendwie geartetes Fehlverhalten des Herrn Ministers ist nicht festzustellen«, schreibt Schertz in einem Gutachten, das er am Dienstag der Öffentlichkeit präsentierte. Strobl habe eindeutig im Rahmen seiner Kompetenzen gehandelt und sei nach dem Landespressegesetz sogar ermächtigt gewesen, Informationen an den Journalisten weiterzugeben, hieß es. Die Vorwürfe gegen den hochrangigen Polizisten seien »von höchstem öffentlichen Interesse«. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sprach im Anschluss von einem Gefälligkeitsgutachten. Schertz sei weder ausgewiesener Experte im Strafrecht noch im Verwaltungs- oder Datenschutzrecht.
Ministerpräsident Kretschmann, der sich bislang stets hinter seinen Innenminister stellte, sprach am Dienstag erstmals im Zusammenhang mit der Affäre von einer »politischen Belastung«. »Natürlich kostet es Kraft und Zeit, sich damit zu beschäftigen«, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag. »Ob da was dran ist, das wird gerade ermittelt.« Wenn SPD und FDP nun einen Untersuchungsausschuss einrichten wollten, sei das ihr Recht. Man werde darauf achten, dass das Regierungshandeln davon nicht beeinträchtigt werde. Kretschmann kündigte an, sich zu den Vorwürfen gegen Strobl nicht mehr äußern zu wollen. »Sie werden von mir schon mal gar nichts mehr kommentiert bekommen.«
»Der MP sieht nichts, hört nicht und sagt nichts«, kritisierte SPD-Innenexperte Sascha Binder. »Es ist höchste Zeit, dass das Parlament nun aufklärt.«
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