Abhängigkeiten von russischem Gas und Kohle verringern, erneuerbare Energien und Netze schneller ausbauen und möglichst rasch Flüssiggas-Terminals schaffen - durch den Krieg in der Ukraine wird sich nach Einschätzung des Stromkonzerns EnBW die Energielandschaft in Europa tiefgreifend verändern. »Mehr Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ohne den Klimaschutz in den Hintergrund zu drängen, ist jetzt die Hauptaufgabe der gemeinsamen Anstrengungen von Unternehmen und Politik«, sagte EnBW-Chef Frank Mastiaux am Mittwoch bei der Vorstellung der Bilanz 2021. Vieles ist noch offen. Klar ist aber laut Mastiaux schon eines: »Irgendwann werden die Preise für alle steigen.«
Noch bezieht der drittgrößte deutsche Stromkonzern für seine 5,5 Millionen Kunden einen »nicht unerheblichen Teil« von Steinkohle und Gas aus Russland. Für die Kohle sieht Mastiaux die Lage selbst bei einem Ausbleiben russischer Lieferungen als kontrollierbar an. Anders beim Gas: Für einen kurzfristigen Ersatz gebe es noch keine befriedigenden Antworten. 2021 kaufte EnBW 495 Terawattstunden Gas ein. Der größte Teil kam vom europäischen Großhandel, 20 Prozent direkt aus Russland.
EnBW will sich von Abhängigkeiten verabschieden: »Es wird keine neuen Lieferverträge geben mit Russland unter dieser Führung«, kündigte Mastiaux an. Weil Gas nach wie vor gebraucht wird, arbeitet EnBW an einer möglichst schnellen Diversifizierung der Bezugsquellen. Nach Angaben von Mastiaux hat EnBW schon vor Jahren begonnen, Flüssiggas-Kompetenzen im Handel und im Einkauf aufzubauen. So wurden im vergangenen Jahr mehr als ein Dutzend LNG-Schiffe gekauft. Eine Hauptaufgabe sei es, möglichst schnell LNG-Terminals umzusetzen.
Mastiaux setzt auf eine Ausweitung und Beschleunigung von Investitionen in erneuerbare Energien, in den Ausbau der Strom- und Gasnetze und in Fuel-Switch-Kraftwerke, die zunächst mit Gas und dann klimaneutral mit Wasserstoff betrieben werden können.
Der Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Neckarwestheim II (Kreis Heilbronn), das bis Ende des Jahres abgeschaltet werden soll, sei technisch möglich. »Das ist ein sehr, sehr sicheres Kraftwerk«, betonte Mastiaux. Das Thema sei aber »derzeit vom Tisch«, es gebe keine Genehmigung für einen längeren Betrieb.
Die EnBW ist seit Jahren im Umbau: Weg vom Kohle- und Atomstromer, hin zu erneuerbaren Energien. Die haben inzwischen einen Anteil von 40 Prozent. Seit 2012 hat sich die installierte Leistung der Windkraft von 218 auf 2000 Megawatt mehr als verneunfacht.
EnBW hat auch das zweite Corona-Jahr mit einem Plus abgeschlossen. Schwacher Wind sorgte 2021 zwar für ein Minus bei den erneuerbaren Energien. Der verstärkte Einsatz von Kohle-, Gas- und Kernkraftwerken und gute Geschäfte im Strom- und Gashandel konnten witterungsbedingte Ertragseinbußen aber mehr als ausgleichen. Der Betriebsgewinn (bereinigtes Ebitda) stieg im Vergleich zu 2020 um 6,4 Prozent auf 2,96 Milliarden Euro - und wuchs so zum fünften Mal in Folge.
Der Umsatz legte aufgrund höherer Strom- und Gaspreise im Großhandel mit 32,15 Milliarden Euro deutlich zu (plus 63 Prozent). Der Konzernüberschuss sank gegenüber dem Vorjahr um 39 Prozent auf 363 Millionen Euro; wegen außerplanmäßiger Abschreibungen auf Kohlekraftwerke im ersten Halbjahr. Die Investitionen vor allem in Offshore-Windparks und Netze lagen mit 2,47 Milliarden Euro um 35 Prozent über dem Vorjahr.
Der Hauptversammlung wird die Ausschüttung einer Dividende in Höhe von 1,10 Euro je Aktie vorgeschlagen. Für das laufende Geschäftsjahr erwartet EnBW trotz der politischen Unsicherheiten, dass das Betriebsergebnis erstmals die Drei-Milliarden-Schwelle überschreiten wird. Die Zahl der Mitarbeiter stieg um 5,7 Prozent auf 26.064.
Der energiepolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Raimund Haser, forderte das Land auf, nun Seite an Seite zu stehen mit der EnBW für einen gesetzlich abgesicherten Leitungsbau, beschleunigte Genehmigungsverfahren und planerische Vorfahrt für die Energieversorgung. Die Versorgungslücke drohe Baden-Württemberg auch ohne Ukraine-Krieg. »Solange wir 4000 Kilometer Alternativ-Trassen untersuchen müssen, um eine 700 Kilometer lange Leitung zu bauen, solange wir Arten- mit Populationsschutz verwechseln, und so lange Herr Hinz und Frau Kunz vor Gericht jahrelange Verzögerungen erwirken können, erstickt die Energie der Zukunft in den Debatten der Gegenwart«, so Haser.
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