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U-Ausschuss: Vom »System der Angst« an der Polizeispitze

Im Polizei-Untersuchungsausschuss wird immer deutlicher, dass hinter vereinzeltem Postengeschacher ein strukturelles Problem liegt. Selbst die Regierungsparteien sprechen mittlerweile von »Machtmissbrauch« und einem »dysfunktionalen« System.

Ex-LKA-Chef Michelfelder
Ralf Michelfelder nimmt an der Fortsetzung des Untersuchungsausschusses »IdP & Beförderungspraxis« teil. Foto: Marijan Murat/DPA
Ralf Michelfelder nimmt an der Fortsetzung des Untersuchungsausschusses »IdP & Beförderungspraxis« teil.
Foto: Marijan Murat/DPA

Tricksereien bei Stellenvergaben, Vetternwirtschaft, Drohanrufe bei möglichen »Nestbeschmutzern« - Spitzenbeamte haben im Untersuchungsausschuss im Landtag von gravierenden Missständen im Beförderungssystem der baden-württembergischen Polizeispitze berichtet. Nicht mehr nur die Opposition spricht nun von einem strukturellen Problem. Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand sieht einen strukturellen »Machtmissbrauch« in der Polizeiführung, er kritisiert Schweigespiralen und »Mechanismen von Mauschelei und Klüngelei«. Auch die CDU-Abgeordnete Christiane Staab sprach davon, dass Aussagen aufgezeigt hätten, »wo Dinge im Beförderungs- und im Beurteilungssystem so dysfunktional sind, dass sie weiter aufgeklärt werden müssen«. Bis dahin sei ein weiter Weg zu gehen.

Im Fokus der Vorwürfe steht der Inspekteur der Polizei, der sich derzeit wegen sexueller Nötigung einer Kommissarin vor Gericht verantworten muss - und der sich den Schilderungen zufolge in seiner Amtszeit für unantastbar hielt. Der Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit sexueller Belästigung in Landesbehörden und der Beförderungspraxis bei der Polizei. Das Gremium versucht zu klären, wie der inzwischen freigestellte Inspekteur eine so steile Karriere hinlegen konnte. Zeugenaussagen zufolge wurde er nicht nur als schlechterer Bewerber am formal korrekten Beurteilungsverfahren vorbei ins Amt des höchstrangigen Polizisten manövriert, sondern hat später in diesem Amt selbst Günstlingen den Weg nach oben bereitet. Unliebsame Aspiranten mit besseren Beurteilungen wurden den Aussagen zufolge hingegen dazu gedrängt, ihre Bewerbungen zurückzuziehen.

Der Karlsruher Polizeivizepräsident, Hans Matheis, kritisierte am Montag im Ausschuss, dass der Inspekteur an ihm vorbei einst ins LKA befördert worden sei. Er sei 2019 Abteilungsleiter Staatsschutz im Landeskriminalamt gewesen und habe selbst die beste Beurteilung für den angestrebten Posten als Vizepräsident des Landeskriminalamts gehabt. Er hätte sich den Posten »hart verdient« gehabt, sagte Matheis - »und dann wird einer schwuppdiwupp vorbeigeschoben.« Das sei ein herber Schlag gewesen.

Später habe er sich auf den Posten des Landespolizeidirektors beworben - und die Bewerbung auf Druck des Inspekteurs hin zurückziehen müssen, berichtete Matheis. Ihm sei angedroht worden, seinen Antrag auf Aufschub der Pensionierung nicht gewährt zu bekommen, so die Darstellung des 63-Jährigen. Das hätte erhebliche Nachteile mit Blick auf die Höhe seines Ruhegehalts bedeutet. Matheis sagte, er wisse von mehreren Fällen dieser Art bei der Polizei. Und wenn man sich wehre, werde man als »Nestbeschmutzer« dargestellt. Das Beurteilungssystem der Polizei müsse dringend überarbeitet werden.

Der ehemalige Präsident des Landeskriminalamts, Ralf Michelfelder, wurde am Montag erneut im Ausschuss befragt. Vor seiner Ernennung zum höchsten Polizeibeamten des Landes war der Inspekteur Vizepräsident des Landeskriminalamts gewesen - und damit Stellvertreter von Michelfelder. Im Ausschuss hatten sich viele Zeugen aus der Polizeispitze positiv über den Inspekteur geäußert. Nicht so Michelfelder: Der Ex-LKA-Chef stellte den heute 50-Jährigen am Montag erneut als völlige Fehlbesetzung dar, mit zu geringer operativer Erfahrung, ohne internationales Netzwerk. Die Beförderung des Mannes zum LKA-Vize sei ein »Sicherheitsrisiko« gewesen.

Der ehemalige LKA-Präsident berichtete zudem, dass der Inspekteur im Frühjahr 2021 einen Kollegen als Abteilungsleiter im Landeskriminalamt installiert habe - und zwar ganz ohne Ausschreibung. Dabei habe es zu der Zeit einen Interessenten aus seinem eigenen Haus auf die Stelle gegeben - der Mann sei nicht berücksichtigt worden. Michelfelder, damals kurz vor dem Ruhestand, erzählte, dass er gegen diese Besetzung protestiert und dem Inspekteur sogar mit dem Hausrecht gedroht habe. »Den könnt ihr besetzen, aber ich lass den nicht rein«, habe er ihm damals gesagt. Die Versetzung sei dann verschoben worden, bis er mehrere Wochen später selbst in den Ruhestand gegangen sei, so Michelfelder.

Zudem kritisierte Michelfelder, dass sowohl der spätere Inspekteur als auch dessen Frau damals zur gleichen Zeit beim Landeskriminalamt tätig waren. Er habe damals gegenüber dem Landeskriminaldirektor vorgeschlagen, die Ehefrau auf eine andere Dienststelle zu versetzen - aber keine Reaktion erhalten.

Die Aussagen der Zeugen Michelfelder und Matheis hätten ihn schockiert, sagte Grünen-Innenpolitiker Hildenbrand nach der 14-stündigen Sitzung am Montag. Es gebe offenbar eine kleine Clique mit einem großem Plan, was Stellenbesetzungen angehe, sagte Hildenbrand - und der Plan werde rücksichtslos durchgesetzt. Die strukturellen Missstände müssten beleuchtet werden. »So wie es ist, kann es nicht bleiben.« Die Kultur in der Polizei müsse geändert werden, so dass die Leute den Mut hätten, sich zu Wort zu melden.

»Leute, die den Mund aufmachen, werden geächtet«, bilanzierte SPD-Innenpolitiker Sascha Binder. »Das zeigt, dass in der Führung der Polizei nichts mehr richtig läuft und mit einem System der Angst gearbeitet wird gegen Polizeibeamte, die einen eigenen Kopf haben.« Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) müsse ein Machtwort sprechen.

FDP-Obfrau Julia Goll sieht ebenfalls ein System hinter den Verfehlungen. Sie spricht vom Einsatz »geradezu krimineller Methoden«, mit denen Leute unter Druck gesetzt würden. Es handle sich um offensichtliche Rechtsbrüche. Hans-Jürgen Goßner, der die AfD im Ausschuss vertritt, sprach mit Blick auf Verstrickungen der CDU mit den höchsten Polizeikreisen gar von »Clanstrukturen«. Die Abgründe würden in jeder Sitzung tiefer, so Goßner.

Die nächste öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses soll am 29. September stattfinden.

© dpa-infocom, dpa:230710-99-353248/8