Im Tübinger Prozess um den Tod eines Säuglings direkt nach der Geburt ist die Mutter des Kindes wegen Totschlags zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Die Anklagebehörde hatte auf drei Jahre und sechs Monate wegen vorsätzlichen Totschlags durch Unterlassen plädiert, die Verteidigung auf einen Freispruch. Die Angeklagte sagte in ihrem letzten Wort vor dem Landgericht Tübingen am Dienstag: »Es tut mir so unsagbar leid, wie das alles gelaufen ist.« Staatsanwaltschaft und Verteidigung nahmen das Urteil an und verzichteten auf Rechtsmittel. (Aktenzeichen 5 Ks 21 Js 13994/20)
Viele Stimmen hätten in dem Prozess für die Mutter gesprochen, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski. »Aber es gibt niemanden, der für das Baby spricht, es ist tot.« Bei der Urteilsfindung sei berücksichtigt worden, dass die Angeklagte offen und geständig gewesen sei. Sie habe nicht gemauert, sei nicht vorbestraft. Als Auflage soll die Angeklagte eine Psychotherapie machen, um ihre Vergangenheit aufzuarbeiten.
Die Angeklagte hatte während des Prozesses immer wieder bestritten, das Mädchen getötet zu haben. Sie habe das Kind alleine im Bad unter laufender Dusche zur Welt gebracht, weil die Wehen plötzlich einsetzten. Das Kind habe geröchelt, sie habe mehrmals versucht, es zu beatmen, sagte sie. Später habe sie das tote Mädchen in ihre Tiefkühltruhe im Keller gelegt. Sie habe ihre Schwangerschaft geheim gehalten aus Angst, ihr Ehemann könnte sie aus der Wohnung werfen, sagte die 48-jährige Deutsche.
Eine Gutachterin hatte der Angeklagten verminderte Schuldfähigkeit bescheinigt. Sie sei von Trennungsängsten geplagt gewesen und habe sich während des Vorfalls in einer schweren, akuten Belastungssituation befunden. Ein Gerichtsmediziner konnte bei der Obduktion des Mädchens keine Gewalteinwirkungen nachweisen.
Staatsanwaltschaft Thomas Trück sagte, es könne nicht nachgewiesen werden, dass die Angeklagte das Mädchen in Lichtenstein (Landkreis Reutlingen) aktiv tötete. Wenn sie aber den Notarzt gerufen hätte, hätte das Kind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet werden können. Die Angeklagte sei von ihrem Ehemann schwanger geworden, habe dies aber geheim gehalten.
Der Vater des Kindes bekräftigte, nichts von der Schwangerschaft seiner Frau mitbekommen zu haben. Der 44 Jahre alte Mann sagte, seine Frau habe schon eine frühere Schwangerschaft mit Zwillingen die ersten Monate verheimlicht. »Vom Kopf her hat sie ein Problem mit Schwangerschaften.« Der Mann hatte den toten Säugling im Juni 2020 im Gefrierschrank gefunden. Zu diesem Zeitpunkt war seine Frau aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, weil die Ehe gescheitert war. Die Angeklagte konnte sich nicht mehr erinnern, in welchem Jahr sie schwanger wurde.
© dpa-infocom, dpa:220221-99-229788/5