In der Debatte über unerlaubte Sportwetten strebt der Anbieter Tipico nach eigener Aussage eine höchstrichterliche Klärung der Rechtsfragen am Bundesgerichtshof (BGH) an. »Und wir sind nach wie vor zuversichtlich, dass der BGH in diesem Verfahren letztlich unsere Rechtsansicht teilen wird«, sagte ein Sprecher - trotz jüngst bekanntgewordener Hinweise des BGHs, welche eher die Sportwetten-Verlierer stärken.
Diese klagen in mehreren Verfahren auf Rückerstattung ihrer Verluste, weil Anbieter wegen offener Rechtsfragen über Jahre keine Lizenz gehabt und teils verbotene Angebote gemacht hätten. Hintergrund des rechtlichen Schwebezustands zwischen 2012 und 2020 sind Änderungen in den Glücksspielstaatsverträgen, mit denen das Sportwetten-Angebot reguliert werden sollte.
Der BGH hat sich in einem Beschluss zu einem für Anfang Mai angesetzten Verfahren geäußert. Es handelt sich dabei um kein Urteil, sondern um eine vorläufige Einschätzung des ersten Zivilsenats zur Vorbereitung auf die Verhandlung.
Demzufolge dürfte der Anbieter gegen Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags in seiner Fassung von 2012 unter anderem deshalb verstoßen haben, weil er den Höchsteinsatz je Spieler nicht auf 1000 Euro pro Monat begrenzte. Verträge zwischen Anbieter und Spieler dürften nichtig sein, der Kläger dürfte einen Rückzahlungsanspruch haben. Die Lizenzfrage spielt in den vorläufigen Einschätzungen eine eher zweitrangige Rolle. Laut BGH hat der beklagte Betreiber aber auch gegen den Glücksspielstaatsvertrag verstoßen, weil er im relevanten Zeitraum keine Erlaubnis für öffentlich im Internet angebotene Sportwetten hatte.
Unterschiedliche Interpretationen der EuGH-Rechtsprechung
Ronald Reichert von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs, der mehrere Anbieter in derartigen Verfahren vertritt, hat Zweifel daran, ob der BGH nach einer mündlichen Verhandlung daran festhält. »Schließlich widerspricht er mit seiner Beurteilung ganz offen dem Europäischen Gerichtshof.« Dieser habe festgestellt, dass den Sportwettveranstaltern, egal ob im Shop oder im Internet, das Fehlen der Konzession damals nicht entgegengehalten werden durfte, weil die Bundesländer den Veranstaltern die Sportwettkonzessionen europarechtswidrig vorenthalten hatten. »Und das Angebot, das die betroffenen Unternehmen gemacht haben, war genau das, was ihnen später von den Behörden genehmigt wurde«, erklärte Reichert.
Anders als beim »Dieselskandal« hätten nicht die Anbieter rechtswidrig gehandelt, sondern die Bundesländer beim Konzessionsverfahren. »Der EuGH und die Verwaltungsgerichte haben deshalb ausdrücklich bestätigt, dass gegen die Veranstalter nicht vorgegangen werden durfte«, so Reichert. Der BGH versuche das rückwirkend zu korrigieren.
Der BGH wiederum sieht seine vorläufige Beurteilung dem Beschluss zufolge in Einklang mit der EuGH-Rechtssprechung. Auch eine Vorlage an die Luxemburger Richterinnen und Richter sei nicht nötig, weil die relevanten Fragen schon beantwortet seien, heißt es weiter.
Klärung in Tipico-Verfahren noch offen
Tipico beruft sich darauf, seit seiner Gründung im Jahr 2004 stets eine gültige Lizenz der maltesischen Regulierungsbehörde MGA im Bereich der Sportwette gehabt zu haben. Dass der Anbieter die strengen regulatorischen Vorgaben einhalte, wird dem Sprecher zufolge laufend kontrolliert. »Nachdem der Europäische Gerichtshof in mehreren Entscheidungen die deutsche Rechtslage in der Zeit vor 2020 als unionsrechtswidrig beurteilt hat, fanden die nationalen Regelungen zur Sportwette keine Anwendung.« Diese Rechtsauffassung hätten die deutschen Behörden akzeptiert und Tipico danach eine deutsche Konzession erteilt.
Aus Sicht des Prozessfinanzierers Gamesright ist die Argumentation von Tipico nicht nachvollziehbar und in Teilen nicht belegbar. Tipico habe in Deutschland keine Lizenz erhalten und stattdessen den Konzernsitz nach Malta verlegt und von dort aus verbotene Sportwetten angeboten. Der BGH habe sich in seinem Beschluss auch klar zur europarechtlichen Lage geäußert und überzeugend dargestellt, dass diese längst geklärt sei. Er stehe auch nicht im Widerspruch zum EuGH. »In 2023 und 2024 haben unsere Auffassung mindestens zehn deutsche Oberlandesgerichte bestätigt.«
Der BGH hatte im März eigentlich schon einen Fall verhandeln wollen, in dem es um Tipico geht. Weil die Beteiligten über einen außergerichtlichen Vergleich verhandeln, hob der BGH den Termin auf. Der Kläger hatte von 2013 bis 2018 an Sportwetten teilgenommen und argumentiert, diese seien wegen fehlender Lizenz unzulässig, die Wettverträge unwirksam gewesen. Er will mehr als 3700 Euro zurück, was im Vergleich zu anderen Fällen dieser Art eine kleine Summe ist. Er war zuletzt vor dem Landgericht Ulm gescheitert, aus dessen Sicht die Verträge nicht nichtig sind. Dagegen ging der Spieler in Revision. (Az. I ZR 90/23)
Der Tipico-Sprecher erläuterte: »In unserem Verfahren handelt es sich beim Kläger um eine Prozessfinanzierungsgesellschaft, die dem Spieler seine Forderung abgekauft hat.« Tipico habe sich wegen dieser Besonderheiten auf Gespräche zu einer außergerichtlichen Verständigung eingelassen. Sollten diese scheitern, würde der Fall doch am BGH verhandelt.
Die Gegenseite erklärte dazu: »Nachdem der BGH auf mehr als 25 Seiten mit der Rechtsauffassung von Gamesright übereinstimmt, stehen wir dem Ausgang ausgesprochen zuversichtlich gegenüber.« Gleichwohl werde eine einvernehmliche Lösung angestrebt, da dies im Interesse aller betroffenen Spieler und des Verbraucherschutzes sei.
Eine höchstrichterliche Entscheidung wäre für Tausende solcher Klagen an zahlreichen Gerichten relevant. Bei Sportwetten geht es um einen Milliardenmarkt. Dem aktuellen Glücksspielatlas zufolge nahmen 2021 fünf Prozent der Bevölkerung an Sportwetten teil.
Glücksspielsstaatsvertrag 2012
Ankündigung des BGH zum aktuellen Fall
Beitrag des Anwalts zum aktuellen Fall
Ankündigung des BGH zum zweiten Fall
Infos des BGH zur Aufhebung der Verhandlung im zweiten Fall
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