Ohne durchgeschwitzt zu sein, nahm Oscar Otte auf dem Stuttgarter Centre Court die Glückwünsche für seine zweite Finalchance auf der ATP-Tour entgegen. Kampflos zog der momentan stärkste deutsche Tennisprofi hinter dem verletzten Alexander Zverev ins Halbfinale ein und trifft am Samstag auf den letztjährigen Wimbledon-Finalisten Matteo Berrettini. Otte fühlt sich nicht nur für die nächste knifflige Aufgabe gegen den Italiener bereit. »Auf heimischem Boden würde ich mir hier gern den Titel gönnen«, sagte er.
Nur für ein kurzes Interview zeigte sich der einzige verbliebene deutsche Teilnehmer im Einzel am Freitag den Zuschauern. Beim Aufwärmen hatte der Kölner erfahren, dass er im Viertelfinale gegen Benjamin Bonzi nicht antreten muss. Aus gesundheitlichen Gründen zog sich der Franzose vom Stuttgarter Rasenevent zurück. Nach Angaben der Veranstalter litt der Weltranglisten-58. an Bauchschmerzen.
»Ich habe Benjamin schon geschrieben, ihm geht es nicht so gut«, sagte Otte und berichtete, dass der 25-Jährige zur Untersuchung ins Krankenhaus gefahren sei. »Ansonsten muss man es sportlich sehen, ich muss das mitnehmen, ich habe ein paar Kräfte gespart.«
Dass ihm Turniere in der Heimat gut tun, hatte der US-Open-Achtelfinalist von 2021 erst Ende April bewiesen. Beim Sandplatz-Turnier in München war er erstmals in die Runde der besten Vier auf der ATP-Tour eingezogen, dann aber gegen den späteren dänischen Turniersieger Holger Rune aus Dänemark ausgeschieden. »Ich glaube generell, dass ich mich sehr wohl fühle zu Hause zu spielen, weil dann alle im Fernsehen zugucken können - auch mein Opa. Es ist ja nicht immer so leicht mit den Internetstreams«, erzählte Otte mit Blick auf die Übertragungen der Turniere im Ausland.
Diesmal soll es nun noch besser laufen als in München, auch wenn die Aufgabe gegen Berrettini schwierig wird. Immerhin erfüllte sich Ottes Hoffnung auf ein langes Viertelfinale seines Gegners. Der an zwei gesetzte Stuttgart-Sieger von 2019 behauptete sich im italienischen Duell mit Lorenzo Sonego 3:6, 6:3, 6:4. Zweimal verlor Otte bisher gegen Berrettini, der in Stuttgart nach einer Operation am Handgelenk sein Comeback gibt und in der Weltrangliste Platz zehn belegt.
Otte wird in der kommenden Woche voraussichtlich erstmals zu den Top 50 gehören. Weil Zverev mit seiner Fußverletzung von Paris ausfällt, ruht die Aufmerksamkeit ein bisschen mehr auf dem Tennis-Spätstarter.
Als Einziger eines deutschen Trios hatte Otte bei dem mit 769.645 Euro dotierten Rasenturnier das Viertelfinale erreicht. Nun steht er als erster deutscher Tennisprofi seit Jan-Lennard Struff vor drei Jahren im Stuttgarter Halbfinale. Struff scheiterte 2019 an Berrettini. Otte will dies vermeiden.
Ein bemerkenswerter Viertelfinal-Sieg gelang dem zweimaligen Wimbledonsieger Andy Murray. Mit dem 7:6 (7:4), 6:3 stoppte der 35 Jahre alte Schotte den topgesetzten Griechen Stefanos Tsitsipas und gewann die Sympathien des Publikums. Murray, der 2019 wegen seiner schwerwiegenden Hüftprobleme kurz vor dem Karriereende stand, wahrte seine Chance, erstmals seit seinem Wimbledon-Triumph 2016 wieder auf Rasen einen Titel zu holen. Mit einem Erfolg gegen den Australier Nick Kyrgios oder Marton Fucsovics aus Ungarn kann der Schotte bei seiner Stuttgart-Premiere das Endspiel erreichen.
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