Nirgendwo in Deutschland sind nach Zahlen des Richterbundes 2022 mehr Dieselklagen am Oberlandesgericht gelandet als in Stuttgart. Im vergangenen Jahr seien mehr als 7000 neue Fälle bei der Berufungsinstanz verzeichnet worden und damit rund doppelt so viele wie in München (3500), teilte der Deutsche Richterbund mit. Dahinter folgen demnach Nürnberg mit rund 2500 und Hamm mit knapp 2000 Klagen. Bundesweit seien mehr als 25.000 Fälle eingegangen.
Inkassodienstleister und Anwaltskanzleien überhäuften viele Gerichte mit »Fließbandklagen«, beklagte der Bundesgeschäftsführer des Richterbundes, Sven Rebehn. »Viele Zivilgerichte werden durch Massenverfahren etwa anlässlich des Dieselskandals oder durch eine Flut gleichförmiger Verbraucherklagen teilweise blockiert.«
Einem Sprecher des Stuttgarter Oberlandesgerichts (OLG) zufolge richteten sich die meisten Klagen gegen den früheren Daimler-Konzern, heute Mercedes-Benz. Es gebe aber auch Volkswagen- oder Audi-Fälle. Neu seien Verfahren gegen Fiat Chrysler, hier gehe es vor allem um Wohnmobile. Ende Februar 2023 seien insgesamt 14.600 Verfahren in Stuttgart anhängig gewesen. Über 2000 Klagen sind den Zahlen zufolge 2022 erledigt worden. Zur Bearbeitung setzt das OLG inzwischen auch auf Künstliche Intelligenz, um die Fälle etwa vorzusortieren.
Eine Instanz früher, bei den Landgerichten, sei zuletzt ein Rückgang der Neueingänge zu beobachten gewesen, sagte der Sprecher weiter. Hintergrund sei, dass viele Menschen auf eine am Dienstag anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs warteten, die die Hürden für Klagen von Autobesitzern deutlich senken könnte. »Je nachdem wie das entschieden wird und was der Bundesgerichtshof daraus macht, könnte nochmal eine neue Welle an Verfahren auf uns zukommen.«
Kläger in solchen Verfahren sind in der Regel Autobesitzer, in deren Wagen unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut wurden und die nun Schadenersatz erstreiten wollen. Volkswagen hatte sich bereits mit Hunderttausenden Klägern im Rahmen einer Musterfeststellungsklage auf einen Vergleich geeinigt. Gegen Mercedes läuft ein solches Verfahren, dem sich knapp 3000 Menschen angeschlossen haben, zurzeit am Oberlandesgericht Stuttgart.
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