Stuttgart (dpa/lsw) - Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) tritt überraschend nicht für eine zweite Amtszeit an. Dafür gab er am Dienstag persönliche Gründe an. Der 64-Jährige erklärte, dass er am Ende einer zweiten Amtszeit weit über 70 Jahre alt wäre. In dem Alter frage man sich, ob man noch einmal etwas anderes machen wolle.
Er werde seine restliche Amtszeit nicht als Auslaufjahr betrachten, beteuerte Kuhn. »Die Ente wird nicht lahmen. Ich werde aktiv wichtige Sachen in Angriff nehmen, die die Stadt in diesem Jahr dringend braucht.« Als Beispiele nannte er den Klimaschutz in der Stadt, die Opernsanierung und die Vorbereitung eines neuen Pflegeheimkonzepts.
Grünen-Kreischef Mark Breitenbücher sprach von einem »Paukenschlag«. Die Grünen hätten Kuhn ermutigt, weiter zu machen, respektierten aber seine Entscheidung. Um einen OB-Kandidaten auszumachen, wollen die Grünen eine Findungskommission einsetzen. Kuhn sagte, er werde sich weiter politisch engagieren - wie, ließ er zunächst offen.
Seine Entscheidung gab Kuhn auf den Tag genau sieben Jahre nach seinem Amtsantritt im Rathaus bekannt. Er hatte sein Amt am 7. Januar 2013 als erster Grünen-OB einer Landeshauptstadt angetreten. Kuhn hatte damals und auch in den vergangenen Jahren im Rathaus auf seine Erfahrung als Gründungsmitglied der Grünen, als ehemaliger Parteichef und als Ex-Fraktionschef im Landtag und im Bundestag gebaut.
Kuhn hinterlässt viele noch nicht abgeschlossene Projekte, deshalb war eigentlich mit einer erneuten Kandidatur gerechnet worden. Der Grünen-Politiker hatte bei seinem Amtsantritt den Wohnungsmangel in der Landeshauptstadt »zur Chefsache erklärt«, die Immobilien- und Mietpreise steigen aber in wenigen Städten so stark wie in Stuttgart.
Kuhn hatte auch das zurückgehende, aber nach wie vor deutliche Feinstaub- und Stickoxid-Problem in den Griff bekommen wollen. Außerdem muss der Neubau des Lindenmuseums mit seinen ethnographischen Sammlungen auf den Weg gebracht werden, über die milliardenschwere Opernhaus-Sanierung ist auch noch nicht entschieden. In die kommende Amtszeit würde auch der bislang geplante Abschluss des Bahn-Großprojekts Stuttgart 21 fallen.
In Stuttgart können die Grünen bei der Abstimmung am 8. November 2020 auf ihr starkes Abschneiden bei der jüngsten Kommunalwahl bauen. Im vergangenen Mai hatte die Partei die CDU im Gemeinderat überholt und war stärkste Kraft geworden. Kuhn musste allerdings auch Kritik als Stadtoberhaupt einstecken. Bei einer Forsa-Umfrage im Mai 2018 stellten ihm rund 56 Prozent der Stuttgarter ein nur mäßiges Zeugnis aus und zeigten sich unzufrieden mit seiner Amtsführung.
Wer zieht nun für die Grünen in den OB-Wahlkampf? Landtagspräsidentin Muhterem Aras, die lange im Stuttgarter Gemeinderat saß, teilte auf Anfrage mit: »Dass auch ich in den Blick gerate in der Frage einer OB-Kandidatur für Stuttgart, ist mir bewusst.« Die Stuttgarter Grünen seien aber weder zeitlich noch personell unter Zugzwang. Der frühere Grünen-Bundeschef Cem Özdemir, der aus Baden-Württemberg kommt, erklärte auf Twitter, nicht als Kandidat zur Verfügung zu stehen.
CDU und SPD haben sich bislang nicht zu eigenen Kandidaten im Rennen um das Rathaus geäußert. Einzig Marian Schreier, der SPD-Bürgermeister von Tengen im Kreis Konstanz, hat bereits als Bewerber seinen Hut in den Ring geworfen. Er kann aber derzeit nicht auf die Unterstützung des Kreisvorstands der SPD Stuttgart zählen.
Der Vize-Kreischef der CDU, Roland Schmid, bezeichnete Kuhns Bilanz als enttäuschend. »Ob beim Thema Wohnen, wichtigen städtebaulichen Weichenstellungen oder Verkehr: Fritz Kuhn hat seine vollmundigen Ankündigungen nicht einmal in Ansätzen in die Tat umgesetzt.«
Hingegen erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne): »Er hat als OB die Landeshauptstadt vorangebracht und wichtige Initiativen angestoßen.« Die Grünen-Landeschefs Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand äußerten sich ähnlich: »Sowohl als erster grüner Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt als auch als kluger Vordenker für grüne Politik hat Fritz Kuhn einen großen Anteil an der Erfolgsgeschichte der Grünen in Baden-Württemberg.« Grünen-Bundeschef Robert Habeck meinte: »Einer der innovativen Köpfe unsere Partei geht jetzt aus dem Amt raus.«