STUTTGART. Vorhersagen sind an diesem Wochenende nicht viel wert. Eigentlich sollte es halbwegs mild und trocken sein. So soll es in dieser Samstagnacht im Herzen der Stadt Stuttgart rund um den Kleinen Schlossplatz und den Königsbau aber nicht kommen. Doch davon weiß man hier um 21 Uhr noch nichts. Die Luft ist noch trocken, der Platz zwischen Wittwer, Waranga und Kunstmuseum gesteckt voll. Wodkaflaschen kreisen, das Publikum ist überwiegend männlich, viele bezeichnen sich als »Ausländer«, obwohl sie oder schon ihre Eltern in Deutschland geboren sind. Sie haben Wurzeln in Bosnien, Kroatien, Albanien oder sind Roma, verraten ein paar gesprächsbereite Jugendliche über sich.
In der Menge zündet immer wieder jemand Böller. Doch die meisten wollen Musik hören, Mischgetränke trinken und Leute treffen. Die Stressmacher sind in der Unterzahl, aber sie sind das Problem. Ihretwegen fühlen sich viele nicht sicher in der City. »Wir wollen keinen Stress. Und die Polizei anpöbeln, das geht auch gar nicht«, sagt Manu aus Waiblingen. Er steht mit Arlind und Yamen zusammen. »Sorry, wir haben natürlich was getrunken, deswegen labern wir so«, sagt Manu. »Aber wir machen keinen Mist.«
Wie in schlechtem Bushido-Film
Waiblingen ist öde, sagen sie. »Montag bis Freitag ist Waiblingen tot. Und am Wochenende sind die wenigen Cafés voll. Das nervt« erklärt Manu, der Anlagenmechaniker lernt. Die drei jungen Männer sind 19 Jahre alt, machen alle eine Ausbildung, wissen, was sie vom Leben wollen. »Unter der Woche bin ich zielstrebig und tue was für die Schule«, sagt Yamen. Sie brauchen Abwechslung. »Der Schlossplatz, das ist unsere Rettung.«
Die Zustände in der City sind in der vergangenen Woche zum Thema geworden, weil Thrasivoulos Malliaras, der CDU-Kreisvorsitzende, in einem Facebook-Text seine Sicht der Dinge schrieb. »Wie in einem schlechten Bushido-Film« gehe es zu. Eine »machtlose Polizei« schildert er. Der Waranga-Wirt Daniel Mattes pflichtet ihm bei. »Die Samstage sind eine Katastrophe«, sagt er. Das sei eine neue Entwicklung, die ihn oft zum Handy greifen lasse, um die Polizei zu rufen – denn er habe Angst davor, seine Gäste über den Platz nach Hause zu schicken. Doch der Wirt hegt auch die Hoffnung, dass im Sommer die strengen Coronaregeln fallen könnten und die Gastronomen den Kleinen Schlossplatz wieder bespielen dürften. Damit ändere sich auch das Publikum, glaubt er. »So können wir unsere Stadt ein Stück zurückerobern«, glaubt er. Doch manche fragten in den vergangenen Monaten auch schon: Wem gehört die Stadt eigentlich?
Ulrike Groos, die Direktorin des Kunstmuseums, kennt die Sorgen: Zwar sei ihr Haus nicht so stark betroffen, da die Besucher bereits gegangen seien, wenn das Nachtleben beginne. Doch Müllberge und eingeworfene Scheiben gebe es immer wieder. Dass der Wirt des Waranga sich um seine Gäste sorgt, verstehen die drei Waiblinger Jugendlichen trotz der »Deppen« mit den Böllern nicht. Aber ja, dass die Szene bisweilen bedrohlich wirken kann, das räumen sie ein. Nach Mitternacht, wenn zu viel Alkohol geflossen ist, wird es oft stressig, sagt Carsten Höfler, der Leiter der Schutzpolizei. Delikte, die für Jugendliche und junge Erwachsene bis Mitte 20, typisch sind: Schlägereien, Pöbeleien, gelegentlich werden auch junge Frauen belästigt. Die Polizei schreitet ein, wo es geht. Das ist an diesem Abend selten, auch wenn viel Polizei zu sehen ist.
Vivienne ist 17 und aus Leonberg. »Wir wollen nur chillen, daheim ist es langweilig«, sagt sie. Sie erzählt ihren Eltern, wo sie hingeht. »Die sagen: Pass auf. Und: Mach keinen Stress mit der Polizei.« Aber das tun sie und ihre Kumpels auch nicht. »Wir trinken was, hören Musik und tanzen«, sagt sie. Aus einer Musikbox dringen orientalische Klänge, die Männer in der Clique tanzen in einem Kreis vorm Königsbau. »Wenn die Polizei kommt und sagt, wir sollen leiser machen oder weggehen, tun wir das«, beteuert Vivienne.
Die Sprache der Jugendlichen
Die Langeweile und Corona-Ödnis, das nennen viele Jugendliche als Grund, auch bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in Stuttgart draußen abzuhängen, sagen Jenny Jarling und Timo Mildner von der Mobilen Jugendarbeit. Sie drehen ihre Runden – Eckensee, Bahnhof, Lautenschlagerstraße, Schlossplatz – und führen unzählige Gespräche. »Die Polizei kann die eigentliche Problemlage nicht lösen, wir befrieden nur. Jedes Wochenende kümmern wir uns um die Symptome der Aggressionen. Aber wenn die Ursachen nicht behoben werden, treten die Symptome immer wieder auf«, sagt Carsten Höfler. Die Polizei greife konsequent ein, wo es notwendig ist. Aber sie setze auch Kommunikationsteams ein. »Das sind sehr junge Beamte, die sprechen die gleiche Sprache wie die Jugendlichen, das funktioniert ganz gut«, sagt Höfler. (GEA)