Seit vielen Jahren streiten Bahn, Stadt und Land um das Milliarden-Projekt Stuttgart 21, nun wird die Wortwahl nach neuen Äußerungen von Verkehrsminister Winfried Hermann schärfer. Denn der Grünen-Politiker stellt nicht nur den Zeitplan für wichtige Vorhaben des Baus in Frage, er fordert auch erneut einen zusätzlichen unterirdischen Bahnhof für den Nahverkehr in Stuttgart. In einem mehrseitigen Schreiben an die Projektpartner Land, Stadt, Region und Flughafen weist die Bahn die Forderungen Hermanns zurück und wirft dem Verkehrsminister vor, falsche Angaben gemacht zu haben.
Erst vor kurzem hatten die erneut stark steigenden Kosten für das Großbauprojekt für Schlagzeilen gesorgt. Nach aktuellen Annahmen summieren sich die Investitionen für den Bau des Stuttgarter Tiefbahnhofs und weiterer Projekte auf mehreren Trassen auf insgesamt rund 9,15 Milliarden Euro. Mindestens. Denn hinzu kommt ein Vorsorgepuffer. Und mit Blick auf die explodierenden Kosten auf dem Bau und stockende Lieferketten erwarten Kritiker weitere Hiobsbotschaften.
Verkehrsminister Hermann hat sich bei seinen Projektpartnern den Ruf des unbequemen Kritikers redlich erarbeitet. Das Beharren des Grünen auf eine Ergänzungsstation unter dem heutigen Bahnhofsbau für mehr Kapazitäten im Nahverkehr hat Stadt und Bahn oft genervt. Nun fordert er nicht nur den Bund erneut dazu auf, für seinen Teil an der problematischen Kostenentwicklung geradezustehen und die Mehrkosten zu tragen. Er warnt auch davor, dass Stuttgart 21 seine Vorteile als Vorzeigeprojekt keineswegs bereits im Jahr 2025 voll und ganz ausspielen werde, wie es der eine oder andere beim Blick auf Rechnung und Bauzeit erwarten dürfte, sondern erst viele Jahre später.
»Wir werden eine schrittweise Inbetriebnahme von Stuttgart 21 erleben«, sagte Hermann im Interview mit der »Stuttgarter Zeitung« und den »Stuttgarter Nachrichten« (Freitag). Die sogenannte Große Wendlinger Kurve sei noch nicht fertig und die Gäubahn werde als Zugstrecke aus Singen in Stuttgart für etwa ein Jahrzehnt unterbrochen sein. Außerdem gebe es noch Unsicherheiten beim wichtigen Abstellbahnhof Untertürkheim und beim geplanten Pfaffensteigtunnel, der als Teil des Gäubahn-Ausbaus die Strecke von Stuttgart zum Bodensee und in die Nordschweiz für den sogenannten Deutschland-Takt fit machen könnte.
Sicher ist aus Sicht Hermanns dagegen bereits jetzt, dass die Züge auch nach 2025 am Flughafen vor den Toren der Stadt vorbeirauschen werden. Zumindest Reisende aus Ulm müssten mindestens bis 2027 in Stuttgart umsteigen, um zum Airport zu gelangen.
Auch seine umstrittene Idee eines Ergänzungshalts in Stuttgart für Regionalzüge und S-Bahnen bringt Hermann gebetsmühlenartig immer wieder ins Spiel. »Auf der ganzen Welt wird in Großstädten so geplant, dass man unterirdisch mit Bahnen fahren kann und darüber baut«, kritisiert er nun im Interview und warnt, der Schienenverkehr in Stuttgart werde sonst trotz Digitalisierung schon in den nächsten zehn Jahren an seine Grenze stoßen.
Mit Applaus von Stadt und Bahn kann Hermann bei diesen Aussagen kaum gerechnet haben. Die Reaktionen fallen aber vergleichsweise scharf aus. Wenige Wochen vor dem nächsten Treffen des Lenkungskreises (2. Mai) zeigte sich ein Sprecher der Stadt »erstaunt über die Interpretation des Ministers«. Es sei weder die wirtschaftliche noch die verkehrliche Notwendigkeit für eine Ergänzung des Bahnhofs in Stuttgart nachgewiesen. Außerdem gebe es »viele Fragen und Unwägbarkeiten, etwa auch zu den Heilquellen oder zum Artenschutz«. Die Stadt wolle Wohnungen und Arbeitsplätze für mehr als 10 000 Menschen schaffen. Aber eine ergänzende Station könne nur nach Fertigstellung des Bahnhofs gebaut werden, sagte er.
Noch deutlicher wird da die Bahn: Die Aussagen Hermanns seien »teils inkorrekt und in einen sachlich unzutreffenden Zusammenhang gerückt«, heißt es in einer mehrseitigen »Richtigstellung« des Konzernbevollmächtigten für Baden-Württemberg, Thorsten Krenz. Er sicherte den Projektpartnern zudem zu, Stuttgart 21 werde »vom ersten Tag der Inbetriebnahme an für Reisende eine Vielzahl an Verbesserungen bieten«. Es werde aber in Jahren danach »ergänzende Inbetriebnahmen« geben.
Unter anderem sei die von Hermann angesprochene Wendlinger Kurve nicht Teil des Projekts Stuttgart 21 und erst nach Baubeginn der Schnellfahrstrecke vereinbart worden, kritisierte Krenz. Den Abschnitt als Beleg für eine schrittweise Inbetriebnahme von Stuttgart 21 anzuführen sei »schlicht falsch«, heißt es in dem Schreiben. Hermanns Aussagen zu den Kosten für die Gäubahn seien »irreführend«.
Auch werde der Abstellbahnhof »rechtzeitig gebaut und in Betrieb genommen«, versicherte Krenz. Er kritisierte vielmehr, das Abstellkonzept des Fernverkehrs sei zwar bereits seit Jahren »zugscharf bekannt«, der Abstellbedarf für den Regionalverkehr des Landes liege dagegen »bis heute nicht abgestimmt« vor.
© dpa-infocom, dpa:220408-99-844096/4