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Strobl: Kretschmann hält zu ihm, Opposition fassungslos

Seine Partei und der Regierungschef stehen geschlossen hinter ihm: Thomas Strobl hat in der Brief-Affäre gerade noch mal seinen Kopf aus der Schlinge gezogen. Opposition und Polizeigewerkschaft sind wütend.

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen)
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Bernd Weißbrod
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Foto: Bernd Weißbrod

Innenminister Thomas Strobl hat die sogenannte Brief-Affäre mit einem dunkelblauen Auge überstanden. Nicht nur CDU-Fraktion und eigene Partei, sondern auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) stellte sich hinter den Vizeregierungschef, obwohl er eine Geldauflage von 15.000 Euro zur Einstellung seines Verfahrens zahlen soll. »Die Sache ist für mich geklärt«, teilte Regierungschef Kretschmann am Freitag mit. Die Opposition gibt sich fassungslos, spricht davon, dass Strobl sich freikaufe und gelogen habe. Kretschmann habe seinen moralischen Kompass verloren, kritisierte SPD-Innenpolitiker Sascha Binder.

»Der Innenminister hat mich informiert, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen einen Geldbetrag einstellen wird und er das akzeptiert«, teilte Kretschmann mit. »Es besteht aus Sicht der Staatsanwaltschaft kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Die Sache ist für mich geklärt, und wir werden in der Koalition weiter gut und vertrauensvoll mit Thomas Strobl zusammenarbeiten.«

Hintergrund: Strobl hatte ein Anwaltsschreiben an einen Journalisten durchgestochen. Monatelang wurde gegen ihn deshalb ermittelt. Am Donnerstagabend hatte der 62-Jährige dann in der CDU-Fraktion erklärt, dass ihm das Angebot der Einstellung gegen eine Geldauflage in Höhe von 15.000 gemacht wurde - und er dieses Angebot annehmen will. Nach der Fraktion hatte auch die Partei CDU-Landeschef Thomas Strobl in der sogenannten Brief-Affäre den Rücken gestärkt.

Die Opposition hingegen ist empört. Der Minister habe sich »freigekauft« vom Vorwurf, sich strafrechtlich relevant verhalten zu haben, kritisierte SPD-Innenpolitiker Sascha Binder am Rande der Sitzung. Man nehme bestürzt zur Kenntnis, dass Strobl nicht zurücktrete. Der Minister habe die Öffentlichkeit mehrmals bewusst angelogen, was etwa das Angebot der Staatsanwaltschaft angehe. »Einer, der von sich sagt, er wäre für Deals nicht zu haben, macht selbst einen Deal - zu eigenen Gunsten«, kritisierte Binder. Strobl hatte die Weitergabe des Schreibens stets damit gerechtfertigt, dass er jeden Anschein eines »Hinterzimmer-Deals« habe vermeiden wollen.

Binder kritisierte auch Ministerpräsident Kretschmann (Grüne), weil der seinem Vize-Regierungschef den Rücken stärkt. Der Ministerpräsident habe nach elf Jahren im Amt den moralischen Kompass komplett verloren, sagte Binder. Kritik kam auch aus Berlin. »Es ist bemerkenswert, dass CDU-Chef Friedrich Merz die Angelegenheit einfach laufen lässt«, sagte Katja Mast, die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. »Das ist keine regionale Geschichte. Es geht um die Innere Sicherheit im Südwesten. Dafür braucht es einen Innenminister, der seinem Amt moralisch und politisch gewachsen ist.«

Besonders scharf äußerte sich die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG). »Wäre Minister Strobl ein Auszubildender bei der Polizei, würde man sofort die Entlassung wegen berechtigter Zweifel an der charakterlichen Eignung verfügen«, sagte Landeschef Ralf Kusterer der dpa. »Wäre Minister Strobl ein Polizeibeamter, würden die zuständige Dienststelle und das Innenministerium jetzt in einem Disziplinarverfahren die Entlassung prüfen.« Strobl schädige das Ansehen der Polizei, so Kusterer. Von Wertheim bis Waldshut-Tiengen habe kaum einer in der Polizei Verständnis für das Handeln des Ministers. »Ganz offen gesprochen kann ich mir aber kaum vorstellen, wie er eine Vereidigung von Polizeibeamten auf das Recht und das Gesetz vornehmen möchte.«

Der Ausgang der Ermittlungen galt als entscheidend für Strobls politisches Überleben. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft können auf mehreren Wegen enden. Die Staatsanwaltschaft kann entweder Anklage bei Gericht erheben - oder sie beantragt den Erlass eines Strafbefehls, wenn sie eine Hauptverhandlung nicht für nötig hält. Das geschieht meist bei kleineren Vergehen und Bagatelldelikten. Wenn die Staatsanwälte allerdings gar nicht von einer Verurteilung ausgehen, können sie das Verfahren auch mangels hinreichenden Tatverdachts einstellen. Oder sie sehen wegen geringer Schuld von der weiteren Verfolgung einer Sache ab.

Eine weitere Möglichkeit, wenn die Schwere der Schuld nicht entgegensteht: eine Einstellung unter Auflagen und Weisungen. Das kann ein Täter-Opfer-Ausgleich sein oder ein Geldbetrag an gemeinnützige Einrichtungen. So wie in der Causa Strobl: Der Innenminister soll nun 15.000 Euro zahlen. Er ist damit weder vorbestraft noch schuldig im juristischen Sinne, es gilt weiter die Unschuldsvermutung. »Das heißt noch nicht, dass jemand auch unschuldig ist«, sagte die FDP-Abgeordnete Julia Goll. An wen Strobls Geld geht, ist noch unklar.

Strobl begründet seinen Schritt damit, dass er das Verfahren schnellstmöglich beenden wolle, um sich als Innenminister »voll und ganz auf die Gewährleistung der Inneren Sicherheit« konzentrieren zu können. Er handle damit auch entgegen der Rechtsauffassung seiner Anwälte. Goll sagte, es sei unwürdig, die Weltkrisen heranzuziehen, nur um im Amt zu bleiben. »15.000 Euro sind richtig heftig, das ist nicht im Bagatellbereich.«

Hintergrund sind Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den ranghöchsten Polizisten im Land, den Inspekteur der Polizei. Ihm wird sexuelle Belästigung vorgeworfen. Strobl soll einen Journalisten dazu angestiftet haben, aus Verfahrensakten zu zitieren. Auch gegen den Reporter wird ermittelt. Dieser hatte nach Angaben der »Stuttgarter Nachrichten« das Angebot der Einstellung gegen Geldauflage abgelehnt. Bei seiner ersten Vernehmung im Untersuchungsausschuss im September war Strobl befragt worden, ob er ebenfalls ein Angebot der Einstellung gegen Geldauflage erhalten habe. Er hatte die Antwort damals verweigert und sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen.

© dpa-infocom, dpa:221021-99-206811/5