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Streit um Unterbringung von Geflüchteten

Weil sich Kommunen weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, will die Landesregierung diese notfalls zum Bau von Unterkünften zwingen. Für Unmut sorgen derweil Äußerungen der Bundesinnenministerin zu Flüchtlingskosten.

Ministerpräsident Kretschmann
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90 / Die Grünen) spricht während eines Termines. Foto: Philipp von Ditfurth
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90 / Die Grünen) spricht während eines Termines.
Foto: Philipp von Ditfurth

In Baden-Württemberg gibt es zunehmend Widerstand gegen den Bau von Flüchtlingsunterkünften auf den Gebieten der Städte und Gemeinden. Aber dem Land sind die Hände gebunden. Es muss die Menschen aufnehmen und verteilen. Deshalb will die grün-schwarze Koalition den Druck auf die Kommunen notfalls erhöhen.

Als letzte Möglichkeit müssten Einrichtungen auch gegen den Willen von Städten und Gemeinden entstehen können, kündigten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und das Justizministerium an. »Wir müssen die Flüchtlinge unterbringen. Das ist eine Pflichtaufgabe«, hatte Kretschmann zuletzt betont. Der Zustrom werde nicht abreißen, »davon bin ich persönlich überzeugt«. Und letztlich müsse jede Einrichtung auf einem Gemeindegebiet stehen. »Wir haben keine gemeindefreien Gebiete mehr in Baden-Württemberg.«

Aber die Skepsis vieler Menschen ist mittlerweile groß, wenn ausgerechnet in ihrer Stadt eine Zwischenstation für Geflüchtete entstehen soll. Zuletzt hatte der Pforzheimer Gemeinderat eine Erstaufnahmeeinrichtung (EA) für Geflüchtete in der Stadt nach monatelanger Debatte abgelehnt, Bürgerproteste gab es zuvor bereits in Tamm bei Ludwigsburg. Das lange Tauziehen von Land und der Stadt Ellwangen um die dortige Einrichtung hatte zudem erst ein Ende, als sich beide Parteien auf eine Frist bis Ende 2025 einigten. Dann braucht das Land eine andere Lösung. Die Zeit drängt.

Laut Kretschmann werden Überlegungen »konkret verfolgt«, wie sich das Land im Zweifelsfall gegen eine Kommune durchsetzen kann. Das Land mache die Erfahrung, dass der Bau von Unterkünften nicht populär sei und auch auf Widerstand stoße. »Wir versuchen natürlich, das Einvernehmen mit den örtlichen Gebietskörperschaften herzustellen«, sagte Kretschmann am vergangenen Dienstag. Es sei bisher in keiner Kommune eine EA gegen den Mehrheitswillen des Gemeinderats in Betrieb genommen worden.

Auch das Justizministerium betonte den Willen, Lösungen mit möglichen Standortkommunen einvernehmlich zu führen. Dies sei auch immer gelungen, sagte ein Sprecher von Justizministerin Marion Gentges (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Er ergänzte aber: »Darüber hinaus stehen - auch abhängig von den tatsächlichen und planerischen Rahmenbedingungen eines Standortes - Regelungen und rechtliche Instrumente zur Verfügung, um jedenfalls eine Einrichtung und einen Betrieb zu ermöglichen.«

Ein mögliches Instrument wäre neben der sogenannten Legalplanung, mit der Standorte aufwendig per Gesetz bestimmt werden, auch das Baurecht des Bundes. Es regelt Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte.

Der Städtetag warnt davor, vom bisherigen Weg abzuweichen. Der Paragraf dürfe nicht überschwänglich genutzt werden, da die kommunale Planungshoheit verfassungsrechtlich abgesichert sei und ausgehebelt würde, sagte eine Sprecherin der »Schwäbischen Zeitung« (Donnerstag). »Dies würde nicht dem bewährten Schulterschluss von Bund und Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten entsprechen, an diesem Schulterschluss sollten wir festhalten«, sagte sie der Zeitung.

Auch die politische Opposition zeigt wenig Verständnis: SPD-Innenexperte Sascha Binder warf der Regierung vor, seit 2016 für keine Reservemöglichkeiten gesorgt zu haben. »Dieses Versäumnis schafft nun einen immensen und eigentlich völlig unnötigen Druck«, sagte er. Außerdem habe sie Misstrauen bei den Kommunen geschürt, weil sie Zusagen nicht eingehalten habe. Der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke warf Kretschmann vor, »unwirsch und starrsinnig« zu agieren, er wolle mit dem Holzhammer vorgehen. »So befördert er genau die Ablehnung vor Ort, statt verantwortlich den Dialog zu suchen.« Für die AfD forderte deren Fraktionsvorsitzender Anton Baron, die Beschlüsse der Kommunen anstandslos anzuerkennen.

Für Unverständnis im Südwesten sorgten auch Aussagen zu Flüchtlingskosten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die SPD-Politikerin hatte erklärt, sie könne Forderungen der Kommunen nach mehr Geld vom Bund für die Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten zum jetzigen Zeitpunkt nicht nachvollziehen. »Ich finde es seltsam, wenn jetzt schon - Anfang April dieses Jahres - gesagt wird, das Geld für dieses Jahr reiche nicht aus«, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag). Sie argumentierte zudem, es dürfe »keine Höchstgrenzen für Menschlichkeit geben«.

Dies gehe an der wirklichen Lage vorbei, warf ihr Gentges vor. Es gehe um objektive Kapazitäts- und Leistungsgrenzen. Oft werde der Raum für die Unterbringung knapp. »Wenn die Bundesinnenministerin meint, die Kommunen hätten doch keine Probleme und könnten noch gar nicht wissen, was noch alles auf sie zukommt, dann fühle ich mich wirklich nicht ernst genommen und fast schon veralbert«, sagte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer am Donnerstag in der Sendung »RTL Direkt«. Palmer sagte, die Kommunen seien mit der Lage überfordert.

In vergangenen Jahr wurden laut Justizministerium 146.000 Menschen aus der Ukraine, 28.000 Asylsuchende und 3400 Menschen im Rahmen der humanitären Hilfe aufgenommen. In den ersten Monaten 2023 waren Stand Donnerstag bislang weitere 7000 Menschen auf der Suche nach Asyl sowie 13.000 auf der Flucht vor dem Ukraine-Krieg und 600 weitere, darunter zum Beispiel Ortskräfte aus Afghanistan.

Im Land gibt es derzeit mehr als zehn Aufnahmestandorte, darunter das Ankunftszentrum in Heidelberg, in dem bis zu 2000 Menschen untergebracht werden können, sowie vier Landeserstaufnahmestellen in Ellwangen, Sigmaringen, Freiburg und Karlsruhe. Dort werden die Geflüchteten registriert und gesundheitlich untersucht, bevor sie in Folgeunterkünfte an die Kommunen verteilt und in den Städten und Gemeinden integriert werden sollen.

Außerdem werden fünf Erstaufnahmestellen in Eggenstein-Leopoldshafen, Schwetzingen, Giengen, Tübingen und Mannheim geführt. Die EA in Mannheim ist derzeit aber wegen Sanierung außer Betrieb. Hier werden schon registrierte Geflüchtete vorläufig untergebracht, bevor sie Kommunen zugewiesen werden. Insgesamt verfügt das Land den Angaben nach über rund 13.200 Plätze für Geflüchtete.

© dpa-infocom, dpa:230406-99-229922/7