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Streik nervt Pendler

»Langsam reicht’s«: Am Stuttgarter Hauptbahnhof haben nur noch wenige Fahrgäste Verständnis für die GDL

»Langsam reicht’s«: Sechs Tage lang bleiben die Bahnsteige in Stuttgart wieder recht leer.  FOTO: LG/PIECHOWSKI
»Langsam reicht’s«: Sechs Tage lang bleiben die Bahnsteige in Stuttgart wieder recht leer. FOTO: LG/PIECHOWSKI
»Langsam reicht’s«: Sechs Tage lang bleiben die Bahnsteige in Stuttgart wieder recht leer. FOTO: LG/PIECHOWSKI

STUTTGART. Zwei Arbeitskolleginnen sitzen am Stuttgarter Hauptbahnhof und warten auf die S-Bahn: Am Dienstagnachmittag fährt ihre Verbindung noch planmäßig, doch seit Mittwoch müssen Claudia Kumordzic und ihre Begleiterin umplanen. »Eigentlich wäre ich lieber im Büro, aber jetzt bleibe ich bis Montag im Homeoffice«, sagt Kumordzic, die in einer Anwaltskanzlei arbeitet und für die Strecke von Schorndorf nach Stuttgart den Zug nutzt – wenn er denn fährt.

Damit gehört sie zu jenen Pendlerinnen und Pendlern, die den Sechs-Tage-Streik – den wohl längsten in der Geschichte der Deutschen Bahn – relativ entspannt umgehen können. Nicht alle haben Berufe, in denen das Arbeiten von zu Hause aus möglich ist. Dennoch, auch Kumordzic ist mit ihrer Geduld am Ende: »Ich finde Streik grundsätzlich ein tolles Mittel, aber die müssen sich jetzt mal einigen.« Die – das sind die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) und die Deutsche Bahn.

Unmut macht sich breit

Die GDL unter ihrem Chef Claus Weselsky reagiert mit dieser Maßnahme auf das jüngste Angebot der Deutschen Bahn, das laut der Gewerkschaft nicht ausreichend auf die Forderungen der Lokführer eingeht. Weselsky und Co. fordern eine Verringerung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden – bei gleichbleibendem Lohn. Die Bahn hatte eine optionale Absenkung auf 37 Stunden vorgeschlagen. Wer sich da-gegen entscheidet, bekäme stattdessen 2,7 Prozent mehr Geld. Die Gewerkschaft sieht darin jedoch keine Verhandlungsgrundlage – und strapaziert nun wieder die Nerven der Fahrgäste, um den Druck auf die Bahn zu erhöhen.

Doch damit droht das Verständnis für die Situation der Lokführer immer mehr zu schwinden. Am Stuttgarter Hauptbahnhof sind die meisten Pendler nur noch genervt. »Langsam reicht’s«, ist immer wieder zu hören – auch von Kumordzics Arbeitskollegin, die ihre schulpflichtigen Kinder nun bis Montag zwischen Weinstadt (Rems-Murr-Kreis) und Stuttgart hin und herfahren muss.

Wie für die beiden Arbeitskolleginnen heißt es auch für zwei Studentinnen am Bahnsteig: Von daheim aus schaffen – und lernen. Doch nach den Corona-Jahren haben die jungen Frauen aus Ludwigsburg genug davon: »Zu Hause ist nicht so cool, in Präsenz nimmt man auch mehr auf«, sagt eine. »In Ansätzen« könne man den Streik noch nachvollziehen, aber auch sie machen klar: »Man könnte sich mal auf einen Kompromiss einlassen – und nicht darauf beharren, seinen Willen mit allen Mitteln durchzusetzen.«

Ein paar Meter weiter stellt ein Mann aus Marbach seinen ausgeklügelten Plan für die kommenden Tage vor: An diesem Mittwoch arbeitet er mobil, am Donnerstag fährt er mit dem Auto zur Arbeit, am Freitag – je nach Wetterlage – mit dem Fahrrad. Und am Montag? »Da habe ich frei, meine Frau hat Geburtstag.«

Auf Berufstätige, Schüler und Studierende hat der Streik der GDL mit die größten Auswirkungen. Aber auch Menschen, die privat auf die Bahn angewiesen sind, reagieren nur noch mit Kopfschütteln. »Mir stinkt es«, sagt ein älterer Herr aus Ellwangen, der im Ruhestand mit dem 49-Euro-Ticket von A nach B kommt. »Jeder will 100 Prozent, Kompromisse gibt es wohl nicht mehr«, schimpft er über die Forderungen der Lokführer.

Die GDL bekommt auch aus der Politik Gegenwind. Aus Tübingen bläst er besonders stark: Oberbürgermeister Boris Palmer forderte jüngst gar die Abschaffung der GDL – und zog damit den Ärger von Gewerkschaftsmitgliedern aus ganz Deutschland auf sich. In einem offenen Brief machte ein Lokführer deutlich: Dass hierzulande überhaupt noch Züge auf den Schienen unterwegs seien, dafür sorgten Lokführer und Zugbegleiter. Der Tübinger OB solle sich besser über die Lage und Probleme informieren.

Doch Palmer legte nach: »Die GDL braucht Widerspruch. Für diesen Streik kann es kein Verständnis geben«, schrieb der Ex-Grüne. Ein paar Stunden später suchten GDL-Vertreter aus Tübingen das Gespräch mit dem OB. »Wir haben uns ausgetauscht und hoffen, dass wir Verständnis erzeugen konnten«, sagt die Vorsitzende der Tübinger GDL-Ortsgruppe, Imke Hartwig. (GEA)