FRIEDRICHSHAFEN. Der erhoffte Durchbruch bleibt aus. Auf eine Klinikreform können sich Bund und Länder bei der zweitägigen Konferenz der Gesundheitsminister in Friedrichshafen am Bodensee nicht einigen. Dabei wollten Karl Lauterbach und seine Ressortkollegen die Krankenhauslandschaft in Deutschland komplett umbauen. Jetzt steht das Gesetz auf der Kippe. Es geht um Geld, Macht und den guten Ruf. Ein Überblick.
- Wozu braucht es eine Reform?
Viele kleine Krankenhäuser bieten zwar alle Behandlungen an, führen manche aber so selten durch, dass sie darin nicht gut sind. Darum sterben Menschen. Zu diesem Ergebnis kommt die Regierungskommission zur Krankenhausversorgung in einem Papier von Ende Juni. Einen Schlaganfall im ersten Jahr überleben könnten 5.000 Menschen mehr, wenn alle in dafür zertifizierten Kliniken behandelt würden. Krebspatienten gewönnen ebenfalls Lebensjahre. Folglich plädiert die Kommission für mehr Spezialisierung und Konzentration in der Gesundheitsversorgung. Nicht bloß bei der Qualität gibt es Mängel, auch bei der Transparenz. Für Patienten ist schwer ersichtlich, wo welche Standards gelten – auch weil diese nicht bundesweit einheitlich sind.
Zugleich ist die Behandlung im Krankenhaus teuer. 85,9 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Krankenkassen 2021 dafür bezahlt, das ist ein Drittel ihrer Ausgaben. Gründe für die Kostensteigerung gibt es viele: den demografischen Wandel, den medizinisch-technischen Fortschritt und die Fallpauschalen. Dieses Bezahlmodell setzt Fehlanreize: Viel verdient, wer viel behandelt – womöglich auch, wo es medizinisch nicht nötig ist.
Der Kostendruck setzt vielen Krankenhäusern zu, in Deutschland ist laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach jede vierte Klinik von Insolvenz bedroht. Der SPD-Politiker warnt: Ohne Reform stehe eine »kalte Strukturbereinigung« bevor. Das heißt: Kliniken verschwinden vom Markt, ohne dass die Politik steuert.
- Was will der Bund?
Lauterbachs geplante Reform sieht drei Eckpunkte vor. Erstens sollen die medizinischen Fachbereiche in Leistungsgruppen eingeteilt werden. Für jede Leistungsgruppe werden bundesweit einheitliche Qualitätskriterien aufgestellt. Dabei geht es etwa um die Verfügbarkeit von Fachärzten und Geräten, um Mindestzahlen an Operationen und um Komplikationsraten. Wer diese Kriterien erfüllt, der darf die Behandlung durchführen – alle anderen nicht.
Zweitens will Lauterbach das Bezahlmodell für Behandlungskosten ändern. Bisher erstatteten die Krankenkassen Fallpauschalen: einen Durchschnittsbetrag, errechnet anhand von Modellkliniken, unabhängig davon, wieviel die Behandlung im Einzelfall tatsächlich gekostet hat. Bei diesem System verdient viel, wer viel behandelt. Dadurch entsteht finanzieller Druck. Den will Lauterbach jetzt verringern mittels Vorhaltekosten: 40 Prozent der Behandlungskosten sollen die Kassen übernehmen allein dafür, dass die Kliniken Personal und Gerät bereitstellen – unabhängig davon, ob sie es einsetzen.
Drittens will Lauterbach die Krankenhäuser in drei Kategorien einteilen: Grund- und Notfallversorger, die flächendeckend wohnortnahe Basisleistungen garantieren, Regel- und Schwerpunktversorger, die zusätzliche Leistungen wie Fachoperationen anbieten, und Maximalversorger wie Unikliniken, die komplizierte Fälle übernehmen. »Es kann nicht jeder alles machen«, mahnt Lauterbach am Bodensee. Und räumt ein: »Wir werden Kliniken verlieren, aber ohne Reform verlieren wir mehr und unsystematisch.«
- Was kritisieren die Länder?
Mit der teilweisen Abkehr von den Fallpauschalen sind die Länder einverstanden. Mit dem Rest nicht. Vor allem bei drei Punkten scheiden sich die Geister. Los geht es mit der Reputation: Die Daten zur Behandlungsqualität will der Bund schon vor der Reform veröffentlichen, die Länder erst danach. Darum wirft der Bund den Ländern Verzögerung vor. Sie würden Transparenz verweigern, um schlechte Kliniken vor der Pleite zu retten. Lauterbach dazu: Es sei ethisch »überhaupt nicht tragbar«, dass Krebspatienten noch behandelt würden, nur damit eine Klinik in der Übergangsphase überlebe.
Gestritten wird auch ums Geld. Um marode Kliniken vor der Insolvenz zu retten, wollen die Länder mehr finanzielle Mittel vom Bund – und zwar noch vor Inkrafttreten der Reform. Manfred Lucha, Chef der Gesundheitsministerkonferenz, Ressortchef von Baden-Württemberg und Grünen-Politiker, betont, es müsse finanzieller Spielraum geschaffen werden, damit Kliniken nicht schon vor Umsetzung der Reform pleitegingen. Dieser Forderung erteilt Lauterbach eine Absage. Er will keinen Vorschuss geben, sondern zuerst die Reform umsetzen und dann die verbleibenden Häuser finanzieren.
Zuletzt spielt Macht eine Rolle. Die Länder bestehen darauf, dass der Bund ihnen nicht in die Klinikplanung reinredet. Denn laut Gesetz haben eigentlich sie zu entscheiden, wo ein Krankenhaus gebaut, erweitert oder geschlossen wird. Diese Kompetenz könnte der Bund mit den Leistungsgruppen beziehungsweise Versorgungsstufen an sich reißen, so die Befürchtung. Sorgen bereiten den Ländern dabei auch der Fortbestand kleiner Häuser mit wenig Patienten und damit die wohnortnahe Versorgung auf dem Land.
- Wen unterstützen die Kassen?
Der GKV-Spitzenverband wirft den Ländern vor, Transparenz zu blockieren. Auch die Techniker Krankenkasse (TK) unterstützt die Position von Bundesminister Lauterbach. Nadia Mussa, Leiterin der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, etwa fordert von der Reform eine »echte Therapie«, kein »weiteres Pflaster«. Dazu gehörten bundesweit einheitliche Standards mit klar definierten Leistungsgruppen und Qualitätskriterien, Transparenz bei der Versorgungsqualität für Patienten und finanzielle Sicherheit für Kliniken durch Vorhaltekosten. Allerdings müsse die Reihenfolge stimmen. »Erst die Reform, dann das Geld.« Die Einteilung in Versorgungsebenen sei dann »nicht mehr zwingend notwendig«.
- Wie geht es weiter?
Die Fronten zwischen Bund und Ländern sind verhärtet. Bei der Bodensee-Konferenz gibt es keine Annäherung. Am Montag steht ein Treffen der Gesundheitsminister mit den Bundestagsfraktionen in Berlin an. Die Reform soll dem Plan nach am 1. Januar 2024 in Kraft treten. (GEA)