Das Land Baden-Württemberg kann bis zum Jahr 2026 mit über 7,4 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen rechnen als noch im November erwartet. Das ist das Ergebnis der Steuerschätzung, wie die Deutsche Presse-Agentur am Sonntag aus Koalitionskreisen in Stuttgart erfuhr. In der grün-schwarzen Koalition ist die Freude über den vorausgesagten Steuersegen aber gedämpft, weil erwartet wird, dass die Konjunktur und die Einnahmen des Staates infolge des Ukraine-Kriegs und der anhaltenden Pandemie im Laufe des Jahres noch einbrechen könnten.
Prognose: Steigende Einnahmen Jahr für Jahr
Das Finanzministerium hat die Steuerschätzung vom Donnerstag für Baden-Württemberg heruntergerechnet und kommt nach dpa-Informationen zu dem Ergebnis, dass die Einnahmen in den nächsten fünf Jahren kontinuierlich steigen. In diesem Jahr kann das Land mit Mehreinnahmen von einer Milliarde Euro rechnen. Für den Doppelhaushalt 2023/2024 soll es ein Plus von knapp drei Milliarden Euro geben. Im Jahr 2025 werden 1,6 Milliarden Euro mehr prognostiziert. Und 2026 dürfte es einen Rekord geben: Dann soll das Land mehr als 40 Milliarden Euro einnehmen - ein Plus von fast 1,8 Milliarden Euro. Wie die dpa aus Koalitionskreisen erfuhr, hat das Finanzministerium die geringeren Einnahmen des Landes durch die Entlastungspakete des Bundes schon eingepreist.
Sprudelnde Steuerquellen auch bei Städten und Gemeinden
Auch die Kommunen im Südwesten dürfen demnach mit einem deutlichen Plus rechnen: In den kommenden drei Jahren sollen Städte und Gemeinden etwa 3,1 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen. Die Kommunen werden demnach in diesem Jahr gut 800 Millionen Euro mehr zur Verfügung haben als noch im November vorhergesagt. Im kommenden Jahr dürfen sie mit 1,1 Milliarden Euro mehr rechnen und 2024 mit fast 1,2 Milliarden Euro zusätzlich. Für 2025 und 2026 lagen die Zahlen zunächst noch nicht vor.
Grüne und Schwarze bauen vor für Konjunktureinbruch
Die Spitzen der Koalition aus Grünen und CDU misstrauen dem Ergebnis der Steuerschätzung jedoch. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) hatte schon vorher gewarnt, die Ergebnisse für bare Münze zu nehmen. Zu groß seien die Konjunkturrisiken durch den Krieg und die Pandemie. Er plädiert dafür, vor November eine weitere Steuerschätzung einzuschieben, damit die Länder eine realistischere Grundlage für die Aufstellung ihrer Haushalte bekämen. Wie die Fraktionschefs von Grünen und CDU warnte Bayaz die eigenen Reihen vor zu hohen Erwartungen an den Doppeletat. Es werde weniger Spielraum für zusätzliche Ausgaben geben.
Verteilungskämpfe in Koalition absehbar
Bayaz verwies auch darauf, dass wegen Corona noch ein großes Loch im Haushalt klaffe. Das strukturelle Defizit aus der mittelfristigen Finanzplanung betrage für den Doppeletat 2023/2023 allein 5,4 Milliarden Euro. Zur Erinnerung: Der Koalitionsvertrag steht seit Anfang an unter Finanzierungsvorbehalt. Der anstehende Doppeletat ist allerdings der zentrale Haushalt für die Verwirklichung der Projekte in dieser Legislaturperiode, die bis 2026 geht. Das dürfte zähe Verteilungskämpfe innerhalb der Koalition nach sich ziehen.
Zuletzt hatte Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz erklärt, er wolle im Haushalt Geld für einen Krisenpuffer zurücklegen. »Wer jetzt allzu hoch springt, könnte bei der Landung schmerzhaft auf die Nase fallen«, sagte Schwarz. Es bestehe die Gefahr, »dass wir im Herbst in die Röhre schauen«. Das Land spüre schon jetzt die Folgen der Lieferengpässe und des Kriegs. »Um gut darauf vorbereitet zu sein, müssen wir einen ausreichenden Puffer bereitstellen.« In gut einer Woche kommt die Haushaltskommission der Koalition zusammen, um sich mit den Eckpunkten für den Doppeletat zu beschäftigen.
Der SPD-Fraktionsvize im Landtag Nicolas Fink teilte mit, es sei gut, dass die Wirtschaftskraft und das Steuerzahlen im Land so stark seien. »Grün-Schwarz muss notwendige Investitionen unbedingt voranbringen: Das Land braucht jetzt bezahlbaren Wohnraum, viel mehr Schwung bei der Energiewende, sichere Arbeitsplätze und ein funktionierendes Bildungssystem!«, erklärte Fink laut einer Mitteilung. Es fehle dem Land nicht an Finanzkraft, sondern an politischer Gestaltungskraft, bemängelte er. Der FDP-Fraktionschef im Landtag, Hans-Ulrich Rülke, forderte: »Ich verlange, dass die zusätzlichen Einnahmen zur Tilgung der immensen Schulden des Landes verwendet werden.«
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